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Call for Applications // XXII. Frühjahrsakademie für Kunstgeschichte: „Soziales Imaginieren und die Rolle von Bildern, Kunstwerken und Bauten“

Die 22. Frühjahrsakademie (École de Printemps, EdP) wird vom 17. bis 21. Juni 2024 von der Friedrich-Schiller-Universität Jena organisiert und in Weimar stattfinden
Call for  Applications // XXII. Frühjahrsakademie für Kunstgeschichte: „Soziales Imaginieren und die Rolle von Bildern, Kunstwerken und Bauten“

A. Lemonnier: Salon de Madame Geoffrin, 1812

Die EdP ist eine Forschungs- und Hochschulinitiative im Bereich der Kunstgeschichte, die vom Internationalen Netzwerk für Kunstgeschichte (Réseau international de formation à la recherche en histoire de l'art, RIFHA) organisiert wird, einem interkontinentalen Netzwerk, in dem Universitäten und Einrichtungen aus acht Ländern (Kanada, Frankreich, Deutschland, Japan, Italien, Spanien, USA und Schweiz) zusammenarbeiten. Eine Woche lang werden fünfzig Professor*innen, Post-Docs und Doktorand*innen über die Beziehung zwischen Kunst und Wissenschaft nachdenken, und zwar im Lichte der jüngsten Theorien, die die Grenzen zwischen Geisteswissenschaften und Wissenschaft fließender und durchlässiger gemacht haben.

Zum Thema

Die Disziplin Kunstgeschichte blickt auf eine lange Tradition der Forschung zu den vielfältigen Bezügen zwischen Kunstwerken, Bildern und Architekturen einerseits sowie politischen und gesellschaftlichen Fragen andererseits zurück. Neben etablierten Ansätzen wie der Sozialgeschichte der Kunst, der politischen Ikonographie, der Critical oder New Art History und wichtigen Teilen der Visual Studies hat es jedoch nur wenige Versuche gegeben, die Kunstgeschichte und ihre Gegenstände mit Theorien des sozialen Imaginären oder sozialer Imaginationen ins Gespräch zu bringen. Das ist insofern bemerkenswert, als nicht nur die Kunstgeschichte von solchen Ansätzen angeregt werden könnte und profitieren dürfte. Vielmehr könnten die historische Untersuchung und theoretische Reflexion von visuellen Artefakten, die im Zentrum der Kunstgeschichte und der Visual Studies stehen, von erheblicher Bedeutung für ein besseres Verständnis des sozialen Imaginären sein. Das Réseau international pour la formation à la recherche en histoire de l’art möchte daher mit der Frühjahrsakademie des Jahres 2024 einen solchen Brückenschlag erproben.

Das soziale Imaginäre und soziale Imaginationen sind Gegenstand verschiedener Theorietraditionen und Ansätze geworden. Zu den vermutlich bekanntesten Entwürfen zählen Arbeiten von Cornelius Castoriadis, Charles Taylor und Paul Ricœur; zuletzt haben u. a. Chiara Bottici, Suzi Adams und Kathleen Lennon die Diskussionen um das soziale Imaginäre bereichert. Bei allen Differenzen unter den verschiedenen Konzeptionen wird weitgehend die Auffassung geteilt, dass wir uns mittels sozialer Imaginationen auf kreative Weise die Welt als sinnvollen Zusammenhang und als ein kohärentes Ganzes erschließen. Soziale Imaginationen über Gruppen und Gesellschaften, aber auch über die Welt und andere Sachverhalte oder Erfahrungen sind Teil und Produkt von sozialen Interaktionen, sie liefern aber zugleich eine unverzichtbare Basis für unser soziales Leben. Sie sind nicht als Gegensatz zum Realen, etwa als täuschende Fehleinschätzungen oder Manipulationen, zu begreifen. Vielmehr kann das soziale Imaginäre als Form, Gestalt oder Muster beschrieben werden; mit seiner Hilfe erfassen wir die Wirklichkeit und laden sie mit Bedeutungen sowie mit affektiven, emotionalen oder atmosphärischen Qualitäten auf. Soziale Imaginationen unterliegen ständigen Modifikationen und Verschiebungen. Sie werden von politischen und ökonomischen Machtverhältnissen ebenso geprägt wie von kulturellen Rahmenbedingungen. Insbesondere Castoriadis hat aber nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass sie auch zu Triebkräften sozialen Wandels werden und zur Veränderung jener Bedingungen beitragen können, in denen sie sich selbst herausgebildet haben.

Soziale Imaginationen lassen sich nicht einfach abbilden. Keine Erzählung, kein Bild repräsentiert ungefiltert und unverändert eine soziale Imagination. Zugleich aber werden Imaginationen in der Regel nur sozial teilbar, sofern sie sich in Darstellungen kristallisieren und in Vollzügen der Produktion und Rezeption solcher Darstellungen Gestalt annehmen. Um die Rolle von Bildern, Kunstwerken und Architekturen für soziales Imaginieren zu verstehen, reicht es nicht, sie nur auf mögliche Gehalte hin zu befragen, zumal auch das Dargestellte in vielfältigen Akten der Rezeption, Interpretation, Aneignung, Reproduktion und Modifikationen ständigen Verschiebungen unterliegt. Wir schlagen daher vor, visuelle Artefakte nicht allein als Artikulationsformen sozialer Imaginationen zu untersuchen, sondern auch nach der Rolle der Bilder, Kunstwerke und Architekturen für Praktiken sozialen Imaginierens zu fragen. Welche Praktiken werden von Bildern, Kunstwerken und Bauten nahegelegt, ermöglicht oder auch verhindert? Und wie tragen diese Praktiken zu einem sozialen Imaginären bei, das in diesen ständig sich wiederholenden und zugleich verändernden Vollzügen Dauerhaftigkeit gewinnt und überindividuell geteilt werden kann?

Wir wollen daher danach fragen, wie Bilder, Architektur und Kunstwerke in das soziale Imaginieren eingebunden waren und sind: Welche medialen Konstellationen liegen ihnen zugrunde, welche Imaginationen stoßen sie an oder befördern sie; und tragen sie dabei zu sozialem Wandel bei? Wie binden etwa politische Akteure Bilder in ihre Argumentationen ein; oder wo führen die Eigendynamiken von Bildern zu Entwicklungen des sozialen Imaginierens, die gerade nicht intendiert sind? Welchen Beitrag leisten sie bei der Distribution und Routinisierung von sozialem Imaginieren – in unserer Gegenwart, aber auch der Geschichte? Wie partizipieren Bilder, Kunstwerke und Bauten an wirkmächtigen sozialen Imaginationen wie Demokratie, Freiheit und Gemeinschaft? Wie wirken Bild und Text in Prozessen des sozialen Imaginierens zusammen oder auch gegeneinander? Ändern die digitalen Praktiken im Umgang mit Bildern etwas an deren Rolle für das soziale Imaginieren?

Die Frühjahrsakademie lädt dazu ein, den dynamischen Beziehungen zwischen dem sozialen Imaginieren, visuellen Artefakten und Praktiken in konkreten Fallstudien und mit theoretischen Impulsen nachzugehen. Ziel ist es, Beiträge zu unterschiedlichen Epochen, Darstellungsformen und Kulturen miteinander ins Gespräch zu bringen. Beiträge könnten sich zum Beispiel folgenden Themen zuwenden:

  • Soziales Imaginieren in Hinblick auf Selbst- und Fremdbilder sozialer Gruppen und Gesellschaften
  • Soziales Imaginieren und Geschlecht
  • Räume und Infrastrukturen sozialen Imaginierens: Kino, Museum, Ausstellung etc.
  • Temporale Dynamiken des sozialen Imaginierens und ihre mediale Bedingtheit: Rhythmen, Wandel, Dauer, Gleichzeitigkeiten, Latenz etc.
  • Medienhistorische Umbrüche und transmediale Phänomene von Praktiken sozialen Imaginierens: Druckgraphik und illustrierte Bücher, Karikaturen, Bilder in Presse, Fernsehen, sozialen Medien etc.
  • Sammlungen, Präsentationen und Displays von Artefakten als Ausdrucksformen und Experimentalräume sozialen Imaginierens
  • Nicht-menschliche Instanzen im sozialen Imaginieren: mediale Eigenlogiken, ‚algorithmic imagining‘
  • Selbstbeobachtungen sozialen Imaginierens: Kunstkritik/Ausstellungskritik, bildliche Darstellungen öffentlicher Kunstrezeption etc.
  • Politiken des sozialen Imaginierens: staatliche Setzungen und Rahmenbedingungen, subversive Gegenbewegungen
  • Soziales Imaginieren in kolonialen/postkolonialen Kontexten
  • Soziales Imaginieren in Zeiten des Anthropozän und der Klimakrise
  • Theorien des sozialen Imaginären, ihre Relevanz für die Architektur-, Bild- und Kunstge-schichte sowie kunsthistorische und bildtheoretische Impulse für ein besseres Verständnis sozialen Imaginierens

 

Die ausführliche Ausschreibung mit Informationen zum Bewerbungsverfahren [dt/en/fr/it/sp] finden Sie unter: https://www.proartibus.org/ecoles-de-printemps.

Ende der Bewerbungsfrist: 18. Februar 2024

[Abbildung: A. Lemonnier: Salon de Madame Geoffrin, 1812, als gemeinfrei gekennzeichnet]