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Die Kunst und ihr Publikum L'art et ses publics


 

II. Internationale Frühjahrsakademie für Kunstgeschichte
Deuxième école internationale de printemps en histoire de l'art

Unter der Leitung von Thomas Kirchner, Iris Lauterbach, Ségolène LeMen und Michael F. Zimmermann
(comité d'organisation)
Beraten von Enrico Castelnuovo, Willibald Sauerländer und Henri Zerner
(comité scientifique)

Frankfurt am Main und München, 18. bis 24. April 2004

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Das Kunstpublikum wird in der Kunstgeschichte von einer älteren und einer jüngeren methodischen Richtung erforscht: von der Kunstsoziologie und von der Rezeptionsforschung. Die ältere Kunstsoziologie seit Friedrich Antal und Arnold Hauser hat dabei in der Regel zweierlei Fragestellungen verfolgt: Welche Interessen hatten die Auftraggeber der Kunst an Selbstdarstellung und Repräsentation? Wie war der Kunstbetrieb, der auf die Bedürfnisse der Auftraggeber mit seinen unterschiedlichen Produkten antwortete, technisch und sozial organisiert, und welchen Status genoss der Künstler in diesem Betrieb und im Ganzen der Gesellschaft? Das Publikum stand dabei nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Allzu oft verschwommen seine Konturen zu denen einer passiven Masse anonymer Betrachter - gleich ob diese nun den Status des gebildeten Höflings oder den analphabetischer Betrachter genossen. Die sozial bestimmbaren Interessen gingen dem Kunstwerk voraus, das nur insofern analysiert wurde, als es auf diese antwortete.

Die jüngere Sozialgeschichte (Martin Warnke, Francis Haskell u.a.) hat nicht nur die soziologischen Voraussetzungen der Kunst, sondern auch die Rolle des Kunstwerks in der Gesellschaft behandelt. Die Autonomie der Kunst, also ihre Unabhängigkeit von der Erfüllung religiöser, kultischer oder politischer und damit unmittelbar sozialer Funktionen, wurde selbst als sozialgeschichtliche Größe untersucht. Der Hofkünstler als Vorläufer des modernen freien Künstlers einerseits und andererseits der Sammler, der den Künstler nicht mehr unmittelbar in Dienst nimmt, rückten in den Mittelpunkt des Interesses. Die Institutionen autonomer Kunst, von der Fürstensammlung zum Museum, von der Kunstbeschreibung und Kunsttheorie über die Kunstkritik zur Kunstgeschichte als Universitätsfach, traten immer mehr ins Zentrum der Forschung.

Die Forschung über die kritische Rezeption des Kunstwerks entstand erst, als die Sozialgeschichte jüngeren Datums ihre großen Synthese-Leistungen vorstellte. Sie wandte sich auf zwei verschiedenen Wegen dem Bezug des Werks zu seinen Betrachtern zu. Einerseits wurde untersucht, wie der Betrachter als Adressat durch unterschiedliche bildnerische Strategien im Werk selbst angesprochen, durch es beeinflusst, manipuliert und sogar thematisiert wird. Andererseits wurde durch die Analyse von Texten der Kunsttheorie und Kunstkritik analysiert, wie das Werk in den unterschiedlichen histori-schen Phasen seiner Rezeption tatsächlich "gelesen" und immer wieder neu interpretiert wurde. Beide Ansätze griffen auf literaturwissenschaftliche Forschungen zurück. Der erste, der den werkimmanen-ten Betrachterbezug in den Vordergrund stellt, fußte auf der Erforschung der Geschichte der Rhetorik und trug von Seiten der Kunstgeschichte die Rekonstruktion der Geschichte von Gestik, Mimik und Physiognomik als herausragende rhetorische Bildsprachen bei. Bei der Analyse von Historienmalerei spielte die Analogie zur historischen Dramentheorie eine herausragende Rolle. Der zweite Ansatz, der die Rezeption anhand historischer Texte erforschte, griff bei der Analyse der sprachkünstlerischen Verfahren dieser Texte auf das methodische Repertoire der Literaturwissenschaften zurück.

Das Publikum als die Gesamtheit der Adressaten eines Kunstwerks ist eine Größe, die nur dann konkrete historische Konturen annimmt, wenn es zugleich mit den Methoden der Kunstsoziologie und der Rezeptionsgeschichte untersucht wird. Wenn das Publikum als kunsthistorisches Paradigma in den Vordergrund des Interesses geraten ist, so auch deswegen, weil beide methodischen Traditionen sich aufeinander zu bewegen.

Diese methodische Interessenverschiebung antwortet auf die gesteigerte gesellschaftliche Bedeutung des Bildes in den globalisierten Medien. Längst ist klar geworden, dass Bilder nicht nur Interessen und Mentalitäten spiegeln, sondern diese umgekehrt erzeugen. In der Kunstsoziologie ist die Rolle der Kunst lediglich als Spiegel sozialer Verhältnisse in den Hintergrund getreten. Die performative Rolle des Bildes, das soziale Verhaltensdispositionen und Mentalitäten erzeugen kann, steht angesichts der Medienlawine außer Frage. Entsprechend ist eine Sozialgeschichte, die das Werk im Vordergrund aus seinem sozialgeschichtlichen Hintergrund heraus "erklärt", obsolet geworden. Stattdessen wird erforscht, wie Bilder als Teile einer diskursiven Visualität in andere meinungs- und mentalitätsbildende Diskurse eingreifen. Dieser oft mit dem Stichwort "cultural studies" bezeichnete Wandel des sozial- und kulturgeschichtlichen Interesses hat sich von jeglichem Bau- und Überbau-Schema emanzipiert; er erkennt die Gleichwertigkeit unterschiedlicher sozialer, kultureller, politischer und anthropologischer Diskurse an. Das Publikum und seine historischen Wandlungen sind zu einem zentralen Paradigma der Kunstgeschichte geworden.

So wichtig die Erforschung des Publikums ist, sieht sie sich doch mit der Schwierigkeit konfrontiert, die sich wandelnden Rezipientenkreise, auf die das Kunstwerk wirkt, einigermaßen scharf zu konturieren. Die oft phantomhafte Größe des Publikums kann nur durch Zusammenspiel sozial- und rezeptionsgeschichtlicher mit medien- und diskurshistorischen Methoden plausibel rekonstruiert werden. Historische Publikumsforschung kann nur interdisziplinär gelingen, nur durch die Kombination von Methoden, deren Ergebnisse wechselseitig kontrolliert werden. Soll das Ergebnis der Verbindung unterschiedlicher Methoden keine unverbindliche Mischung verschiedener Terminologien und Argumentationsstrategien sein, müssen die auf getrennten Wegen erlangten Ergebnisse kritisch gegeneinander gehalten werden. Sozialgeschichtliche und rezeptionsgeschichtliche Herangehensweisen müssen sich in ihren methodischen Voraussetzungen in Frage stellen, um der Problematik der sozialen Performativität des Kunstwerks gewachsen zu sein. Die Tagung verfolgt das Ziel, anhand ausgewählter Probleme historischer Interpretation das methodische Instrumentarium der unterschiedlichen wissenschaftlichen Traditionen zu überprüfen und es in gezielter Methodenvielfalt polyperspektivisch zusammenzuführen. Ziel ist es, gemeinsam an einer Kunstgeschichte zu arbeiten, die als Geschichtswissenschaft einen zentralen Beitrag zur Erforschung der heute so übermächtig erkennbaren sozialen Rolle von Bild und Kunst leisten kann.

Die im Folgenden genannten Fragestellungen und Themenkreise sollen unterschiedliche Aspekte der Problematik zunächst getrennt voneinander zur Diskussion stellen. Es geht dabei zunächst um zentrale Fragestellungen der Kunstsoziologie wie auch der Rezeptionsforschung. Im Anschluss daran soll die Debatte darüber eröffnet werden, ob und in welcher Hinsicht beide Traditionen kunsthistorischer Forschung aufeinander angewiesen sind und einander ergänzen, wenn es um die Beantwortung neuer, kulturwissenschaftlicher Fragestellungen an die Geschichte von Bild und Kunst geht.

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