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Andreas Putz // Architektur als Wissenschaft: Cornelius Gurlitt und die Wissenschaftlichkeit der Baukunst

Scharfe Abgrenzung gegen den damaligen Wissenschaftsbetrieb, gegen zunehmende Akademisierung und Formalisierung der Ausbildung, auch gegen zunehmende Bürokratisierung und Normierung der noch überwiegend baubeamtlichen Tätigkeit der studierten Architekten kennzeichnen den Diskurs, der um 1900 zur Reform des Faches Architektur führen sollte. Im von Julius Langbehn ausgerufenen „künstlerischen Zeitalter“ sollte der Architekt stattdessen freischaffend seiner inneren künstlerischen Bestimmung folgen, vor allem entwerferisch tätig sein, eben als „Baukünstler“. Cornelius Gurlitt, zur Zeit der Abfassung von Rembrandt als Erzieher eng mit Langbehn verbunden, war sowohl publizistisch wie berufspolitisch maßgeblich an der Durchsetzung des modernen Leitbilds der Profession am Beginn des 20. Jahrhunderts verantwortlich. Als „Meistererzählung“ ist diese Sicht der Praxis der Architektur bis heute bestimmend für die moderne Architekturgeschichte der großen Namen ebenso wie für aktuelle Diskurse über die Rolle und Aufgabe der Disziplin Architektur innerhalb der heutigen Hochschullandschaft.

Dabei blieb bisher unbeachtet, dass Cornelius Gurlitt an der Kgl. Sächsischen Technischen Hochschule in Dresden auch die bedeutendste Doktorandenschule avant la lettre des Deutschen Reichs begründete. Nach 1902 bis zu seiner Emeritierung 1920 sollten nicht weniger als 60 Architekten durch Gurlitt zu Doktor-Ingenieuren promoviert werden, um die 30 weitere Arbeiten betreute er als Zweitgutachter. Insgesamt ragt die maßgeblich von Gurlitt geprägte Architekturabteilung der TH Dresden bis weit in die Zwischenkriegszeit durch die Anzahl und Qualität der Dissertationen gegenüber den anderen Technischen Hochschulen deutlich heraus. In Form von Dissertationen wurde wissenschaftliche Forschung im Fach Architektur zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Wesentlichen in Dresden betrieben.

Das Spektrum der Arbeiten – entsprechend den vielseitigen Interessen Gurlitts – reichte inhaltlich von den antiken Stätten Mesopotamiens über islamische und ostasiatische Baukunst bis zum neuzeitlichem Kirchenbau, von vernakulären Bauern- zu spätbarocken Bürgerhäusern, von der Geschichte der Gartenarchitektur bis zum modernen Städtebau. Ebenso eingebunden in die damaligen Diskurse des Heimatschutzes und des deutschen Kulturimperialismus, zur denkmalpflegerischen Inventarisierung wie zur Kriegsdenkmalpflege, zur Reform des protestantischen Kirchenbaus wie zur sozialen Reform im Spätkapitalismus, zur Umgestaltung der Städte wie zum künstlerischen Realismus im Industriezeitalter, ergeben sich aus den Dissertationen vielfältige Querverbindungen zu den kulturgeschichtlich relevanten Themen der Zeit.

Zur langen Liste der Dresdner Promovenden dieser Jahre gehören u.a. Walter Andrae, Walter Curt Behrendt, Kurt Biebrach, Julius Jordan, Walter Klingenberg, Paul Klopfer, Werner Lindner, Arthur Mäkelt, Herrmann Muthesius, Hermann Phleps, Fritz Rauda, Oskar Reuther, Otto Schilling, Otto Schubert, Heinrich Sulze, Karl Wulzinger – aber auch die erste promovierte Architektin Marie Frommer. Innerhalb des breiten, auch problematischen Ausschnitts der technischen Elite des späten Kaiserreichs, der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus und der deutschen Nachkriegszeit finden sich bedeutsame Hochschullehrer, Archäologen und Bauforscher, Denkmalpfleger, Staatsbedienstete, Architekturkritiker und –theoretiker. Neben den ebenfalls vertretenen praktisch tätigen Architekten bezeugen sie, dass sich Architektur als Beruf keineswegs auf den entwerfenden „Baukünstler“ zu beschränken hat.

Wie aber sind die Ablehnung des „wissenschaftlichen Zeitalters“ und die gleichzeitige Forcierung formalisierter wissenschaftlicher Forschung miteinander vereinbar? Welche Bedeutung muss eventuell neuen Formen der Wissenschaftlichkeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch bei der Herausbildung der Architektur der Moderne (und dem Fach Architektur in der Moderne) zugesprochen werden? Und in welcher Art und Weise unterscheiden sich die weitreichenden wissenschaftlichen Arbeiten aus dem Umfeld Gurlitts von früherer Forschungstätigkeit von Architekten, wie von den sich zu jener Zeit ebenfalls wandelnden methodischen Ansätzen in der Kunstgeschichte (Wölfflin, Riegl) und den Geisteswissenschaften (Dilthey)?

Anhand dieser ersten Doktorpromotionen von Architekten und der wissenschaftlichen Tätigkeit Cornelius Gurlitts will das laufende Forschungsvorhaben des Stipendiaten nicht zuletzt einen Beitrag leisten zur aktuellen Diskussion der Wissenschaftlichkeit der Architektur. Im Rahmen des Forschungsaufenthalts am ZI soll dabei vor allem letztgenannter Fragestellung nachgegangen werden. Dabei wird insbesondere der Einfluss von Friedrich Theodor Vischer auf Gurlitts ästhetische und wissenschaftliche Haltung zu ergründen sein, der ihn in starke Opposition zur Kunstgeschichte seiner Zeit brachte, maßgeblich jedoch bis heute Baugeschichte und historische Bauforschung prägt.

Team