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Vortrag Bernd Nicolai

Termindetails

Wann

28.06.2017
von 18:15 bis 19:30

Art

Mittwochsvortrag

Wo

Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Vortragsraum 242, II. OG, Katharina-von-Bora-Straße 10, 80333 München

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Architektur der Globalisierung – wovon reden wir eigentlich? Eine kunsthistorische Perspektive


  

Architektur der Gegenwart hat sich in einem Maße entgrenzt, in eine Vielzahl von Möglichkeiten und Bauaufgaben aufgespalten, dass es fast unmöglich scheint, eine Architekturgeschichte der Gegenwart zu schreiben. Genau dieses jedoch ist der Fokus des gegenwärtigen Forschungsprojekts  diese Entwicklung innerhalb einer kritischen Architekturgeschichte zu verorten.

Architektur der Gegenwart entsteht trotz vieler Neuerungen nicht voraussetzungslos. Es gibt eine Tradition der Internationalisierung und zugleich eine Internationalisierung der Architektur, des Architekten (Architekturbüros) als Brand, seit dem industriellen Zeitalter. Sie wird manifest in den Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts und mit der Positionierung der Moderne, kulminierend im International Style der Nachkriegszeit. Fast unmerklich rückte die Architektur, insbesondere die amerikanische,  seit ca. 1970 an die Parameter einer sich liberalisierenden Wirtschaft heran.

Mit „Learning from las Vegas“ (Venturi, Scott Brown, Izenour 1972) wurde der Strip von Las Vegas als neues Modell einer die Grenzen von high and low überwindenden Architekturwahrnehmung propagiert. Zwei Jahrzehnte später, 1995, entstand ein zweites, wirkliches Manifest von Rem Koolhaas, S, M, L, XL, in dem durch die inhaltsfreie Kodierung nach Konfektionsgrössen Architektur mit den dynamischen Prozessen der sich entfaltenden Globalisierung kompatibel gemacht werden sollte, Kategorien, die heute bereits architektonische Realität geworden sind  (China, Dubai). Seit den 1990er Jahren begannen weltweit operierende Architekten oder staatliche Institutionen wie Nakheel Development, Dubai in enger Kooperation mit der globalisierten Wirtschaft in umfassenden Plänen ganze Landstriche und Städte, wie das Pearl River Delta, Shanghai, Peking, Dubai zu planen. Damit ist der Architekt/die Architektin wieder dabei, sich vor der Hand als Kurator einer Gesellschaft zu präsentieren, mit Weltagenda, eine Haltung, die geradezu leitmotivisch für Vertreter der klassischen Moderne wie Le Corbusier war.

Oft wird der Diskurs zu dieser Form entgrenzter Architektur gleich mitgeliefert. Architektur und Bauen wird  mit weltweiten Prozessen, z. B.  mit wissenschaftlicher Attitüde durch den Koolhaas/OMA Think Tank AMO auf eine Metaebene gehoben, die den Kunstcharakter der Architektur unterstreicht. Dies geht einher mit einer neuen Hybridisierung der Architektur und des architektonischen Raums, ein Oszillieren zwischen Innen und Außen (die Membran, die interaktive Fassade), Multifunktionsorte wie Flughäfen, Malls oder auch Museen. Ferner werden Elemente des Themeparks als sog. Disneyfikation in Alltagswelten geholt, wie es Jon Jerde mit seinen Projekten in den USA und Japan vorgeführt hat.

Der Vortag beschreibt diese Diskursformen seit den 1980er Jahren, beschreibt aber auch verschiedene Formen der „Architektur des Empires“, globale Bautypen wie  Museen und Flughafen, Orte, Nicht-Orte und alternative Konzepte in verschiedenen Geographien wie den Emiraten, China, Europa und den USA.

 

 

Prof. Dr. Bernd Nicolai (geb. 1957)

Prof. Dr. Bernd Nicolai ist Kunsthistoriker und seit 2005  Ordinarius für Architekturgeschichte und Denkmalpflege am Kunsthistorischen Institut der Universität Bern. Nach dem Studium in Mainz, Göttingen und Berlin/FU lehrte und forschte er an der TU Berlin, der ITÜ Istanbul, University of Edinburgh, der Universität Trier jüngst auch an der Tongij Universität Shanghai. Seine Forschungsfelder umfassen das frühe und hohe Mittelalter, Kultur- und Transferprozesse der Moderne seit der Aufklärung, Exilforschung sowie Entwicklungen der Gegenwartsarchitektur unter den Bedingungen der Globalisierung. Er ist war Anfang 2017 Guest Scholar am Getty Research Institut.

 

Veröffentlichungen (Auswahl):

 

- Globalized Architecture – a critical History, erscheint Basel, Boston, Berlin: Birkhäuser 2018

Hrsg. mit Klaus Rheidt, Santiago de Compostela. Pilgerarchitektur und bildliche Repräsentation in neuer Perspektive (Beiträge des Berner Kolloquiums 2010), Bern u.a., Peter Lang Verlag 2015

 

 – Mendelsohn and Libeskind: A Hidden History - Jewish Identity, the Void, Architectural Metaphors and Traces through Twentieth-Century Berlin, in: Steiner, Henriette / Veel, Kristin (eds) Invisibility Studies  Surveillance, Transparency and the Hidden in Contemporary Culture (Cultural History and Literary Imagination Bd. 23), Oxford, Bern 2015 , S. 89-116

Hrsg. mit Anna Minta, Parlamentarische Repräsentationen, Bern: Peter Lang 2014 (Neue Berner Schriften zur Kunst, Bd. 14)

 

– New Monumentalism in Contemporary Architecture, in: Anglia 131, 2013, 297-313 – (Hrsg. mit Thomas Gnägi und Jasmine Wohlwend Piai) Gestaltung, Werk, Gesellschaft. 100 Jahre Schweizerischer Werkbund SWB, Zürich: Scheidegger & Spiess, 2013

„Wie Gott den Okzident in den Orient umgewandelt hat“, Aspekte mediterraner Transfermodi im hohen Mittelalter, in: Synergies in Visual Culture. Bildkulturen im Dialog, hrsg. v. Manuela De Giorgi, Annette Hoffmann, Nicola Suthor, München: Fink 2013, S. 185-198.

 

 – Diskursformen gegenwärtiger Architekturforschung. Wissenschaftsmetaphern als Bildstrategien bei Rem Koolhaas/OMA und Herzog & de Meuron, in: Anne von der Heiden, Nina Zschocke (Hrsg.), Autorität des Wissens, Kunst- und Wissenschaftsgeschichte im Dialog, München: Diaphanes, 2012, S. 149-165.

100 Jahre Gestaltung – Einführung, in: Gestaltung, Werk, Gesellschaft. 100 Jahre Schweizerischer Werkbund SWB, hrsg. von Bernd Nicolai, Thomas Gnägi and Jasmine Wohlwend Piai, Zurich: Scheidegger & Spiess, 2013, S. 1-17 (mit Thomas Gnägi und Jasmine Wohlwend)

 

–  (Hrsg. mit Anna Minta), Modernity and Early Cultures, Reconsidering non western references for modern architecture in a cross-cultural perspective, Bern: Peter Lang 2012 (Neue Berner Schriften zur Kunst, Bd. 12)

 

–  Martin Wagners Netzwerke des Exils, in: Burcu Dogramaci, Karin Wimmer (Hrsg.), Netzwerke des Exils künstlerische Verflechtungen, Austausch und Patronage nach 1933, Berlin, Gebr. Mann, 2011, S. 109-123.

 

– (Hrsg.) „Architektur und Exil. Kulturelle Aspekte der architektonischen Emigration 1930-1950“, Trier: Porta Alba 2003. 

 

– „The docile body“. Überlegungen zu Akkulturation und Kulturtransfer durch exilierte Architekten nach Ostafrika und in die Türkei, in: Kunst und Politik. Jahrbuch der Guernica Gesellschaft, 4, 2002, Schwerpunkt Postkolonialismus, hg v. Viktoria Schmidt-Linsenhoff, S. 63-78.

 

– Moderne und Exil. Deutschsprachige Architekten in der Türkei 1925 bis 955, Berlin: Verlag für Bauwesen 1998.