Russische Creme am Friedensengel: Der Central Collecting Point bei Johannes Mario Simmel

IRIS LAUTERBACH

1960 erschien in Zürich der Roman Es muß nicht immer Kaviar sein des österreichischen Schriftstellers Johannes Mario Simmel (1924–2009). Der Untertitel „Die tolldreisten Abenteuer und auserlesenen Kochrezepte des Geheimagenten wider Willen Thomas Lieven“ spielt auf Honoré de Balzacs Contes drôlatiques an und weckt bei der Leserin, beim Leser die Erwartung anzüglicher Schilderungen unterhaltsamer Liebesabenteuer. In der Tat ist dieser moderne Schelmenroman nicht nur pikaresk, sondern auch pikant. Denn nicht minder virtuos als die Liebeskunst beherrscht der Protagonist Thomas Lieven die Kochkunst. Seine Erfolgsrezepte – von Aal in Salbei bis Zitronen-Soufflé – sind über das Buch verteilt. Als „Geheimagent wider Willen“ gelingt es Lieven, während des Krieges und in der Nachkriegszeit das Leben nach seinem Geschmack zu genießen.

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Eine kleine Technikgeschichte des ZI

EVA BLÜML

„Das ZM verfügt über einen großen Leitz Projektor und einen Leitz-Parvo11-Bildwerfer für Kleinformate. Die Anschaffung eines Lesegerätes für Mikrofilm ist vorgesehen“ [Jahresbericht ZI 1949-50, S. 8]. Technik ist schon seit der Gründung des Zentralinstituts für Kunstgeschichte, damals noch ZM, ein Thema: so bedienten sich die Kunsthistoriker*innen am ZM aktueller Technologien, um die Grundlagen für eine zeitgemäße kunsthistorische Forschung zu schaffen, ihre Objekte möglichst handhabbar zu machen und allerlei Dokumente zukunftssicher zu archivieren.

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„…aus dem Aluminium ihrer Todesflügel hätte man die Kochtöpfe herstellen können…“ Ursula Ströbele über Juliane Roh zwischen Kunstgeschichte und politisch-feministischem Engagement

Teil 2

Juliane Roh (Abb. 3) prangert in ihren Texten wiederholt die Zwangsrekrutierung der Frauen während des Krieges an, die „zum Arbeitssklaven männlich militärischer Interessen“ erniedrigt wurden bei gleichzeitiger Instrumentalisierung im Zuge der nationalsozialistischen Fortpflanzungspolitik. „Alles, was ihr der Gleichberechtigungskampf mühsam erworben hatte […], hat ihr der Staat wieder genommen.“ (Der Krieg und die Frauen, 2) Aus Selbstschutz habe sich die Frau auf ihre Rolle der Ehefrau und Mutter zurückgezogen bzw. habe versucht, männliche Eigenschaften zu adaptieren. Weshalb sie fordert: „Es kommt heute also darauf an, dass wir die weibliche Emanzipation vollenden, indem wir sie an ihren Ursprung zurückführen. […] das bedeutet zu den Müttern. Wir müssen heute den einzigen Typ der Frau, der noch nicht emanzipiert ist, zu befreien trachten, den mütterlichen.“ (Die Frau der Zukunft, 13).

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„…aus dem Aluminium ihrer Todesflügel hätte man die Kochtöpfe herstellen können…“ Ursula Ströbele über Juliane Roh zwischen Kunstgeschichte und politisch-feministischem Engagement

Teil 1

Seit 2015 bzw. 2016 vergibt das Zentralinstitut für Kunstgeschichte jährlich zwei Juliane und Franz Roh-Stipendien am Studienzentrum zur Kunst der Moderne und Gegenwart für Promovierende und Postdoktorand*innen. Seinen Namen verdankt das Stipendium dem Ehepaar Roh, die beide in München lebten. Franz Roh (1890 Apolda–1965 München) war als Kunsthistoriker, Kunstkritiker und Künstler tätig, promovierte 1920 bei Heinrich Wölfflin und publizierte zu unterschiedlichen Themen vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart. 1946 heiratete er Juliane Bartsch (1909 Duisburg–1987 München), die in Heidelberg Kunstgeschichte, Philosophie und Archäologie bei August Grisebach, Karl Jaspers und Arnold von Salis studierte und dort 1934 promoviert wurde (Figur und Landschaft: eine Untersuchung ihrer Beziehungsformen im italienischen Kunstbereich des 16. und 17. Jahrhunderts). Die beiden ersten und kommenden Blogtexte möchten einen Einblick in ihre kunsthistorische Tätigkeit geben (Abb. 1), zur Frau als Bildender Künstlerin und explizit zu den Bildhauerinnen des 20. Jahrhunderts sowie hier vorliegend in ihr schriftstellerisch-politisches Engagement. Ein besonderer Dank gilt Richard Hampe, der den Nachlass verwaltet und bei der Sichtung der Archivunterlagen große Unterstützung leistete. Die meisten Datierungen der hier genannten Texte und deren etwaige Publikationsorgane sind bislang unbekannt; weitere Recherchen erfolgen in diesem work in progress.

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Kartoffelsalat, Braten, Eier in Aspik: Feiern im Collecting Point

IRIS LAUTERBACH

Fotografische Schnappschüsse ergänzen die archivalische, schriftliche Überlieferung zum Central Collecting Point (CCP), der Kunstsammelstelle der amerikanischen Militärregierung, die nach 1945 im ehemaligen „Verwaltungsbau der NSDAP“ am Königsplatz eingerichtet wurde. Sie vermitteln einen Eindruck davon, wie sich am Collecting Point eine internationale Community im belasteten politischen Kontext auf gleichsam exterritorialem Gebiet arrangierte. Es wurde nicht nur gearbeitet, sondern auch gefeiert, gelacht, geflirtet, gegessen, getrunken und – aus heutiger Sicht auffallend viel – geraucht (Abb. 1-3). Informelle Begegnungen und Gespräche auf den Partys am Collecting Point trugen sicherlich auf die eine oder andere Weise zu Restitutionsentscheidungen bei, ohne dass wir dies heute im Einzelnen belegen könnten.

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Schöner Schluss

WOLFGANG AUGUSTYN

Das Problem ist bekannt, es betrifft Musik und Literatur. Es ist ein grundsätzliches Problem jeglicher Komposition, auch in den Bildenden Künsten. Wie soll man anfangen? Vor allem aber: Wie aufhören? Man kann die Antwort auf diese Frage ans Publikum delegieren wie Bertolt Brecht in seinem Parabelstück Der gute Mensch von Sezuan, an dessen Ende man selbst den Ausgang des Geschehens suchen soll:

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Vom Stiefelschritt zur Disco: Feiern im „Verwaltungsbau“

IRIS LAUTERBACH

1937 fand im nördlichen Lichthof des „Verwaltungsbaus der NSDAP“, der im Februar des Jahres bezogen worden war, die erste Weihnachtsfeier statt (Abb. 1). Im Lichthof und in den Galerien standen in Reih und Glied uniformierte und zivile Mitarbeiter*innen des Reichsschatzmeisters Franz Xaver Schwarz (1875–1947). Uniformierte patrouillierten in den Galerien, wo die festlich gekleideten Angestellten brav aufgereiht warteten.

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Longue Durée: 75 Jahre ZI

PHILIP URSPRUNG

Zum ersten Mal hörte ich in den 1980er Jahren vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte. Ich studierte damals Kunstgeschichte in Genf. In München, so schwärmte einer unserer Professoren, befände sich quasi die Zentralbank unserer Disziplin. Dort würde am ambitioniertesten Lexikon des Fachs gearbeitet, dort erschiene die Kunstchronik und vor allem, dort stünde eine riesige Bibliothek, in der einfach alles zu finden sei, was im Bereich der Kunstgeschichte erschienen war. „Alles?“ „Alles!“

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