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Call for Papers // Internationale Frühjahrsakademie 2021: À la table des artistes – Mit den Künstler*innen am Tisch, Reims, 21. - 25. Juni 2021

Organisiert vom Internationalen Netzwerk für Kunstgeschichte mit Unterstützung des Institut national d'histoire de l'art, Paris und der Universität Reims Champagne-Ardenne.

Die 19. Frühjahrsakademie des Internationalen Netzwerks für Kunstgeschichte (www.proartibus.org) wird vom 21. bis 25. Juni 2021 an der Universität Reims Champagne-Ardenne stattfinden. Sofern die Bedingungen dies zulassen, werden ca. fünfzig Master-Studierende, Promovierende, Post-Docs und Lehrende die Gelegenheit haben, in der Stadt und ihrer Umgebung eine Woche zu verbringen, um sich über das diesjährige Thema Kunst und Essen auszutauschen und methodische Ansätze, Forschungsperspektiven und Erfahrungen zu teilen. Zudem sollen auch zwei Sektionen der 18. Frühjahrsakademie („Art & Text“), die bereits im Mai 2020 in Cambridge hätte stattfinden sollen, bei diesem Treffen nachgeholt werden.
In Abhängigkeit von der Entwicklung der Corona-Pandemie wird weiterhin die Möglichkeit bestehen, die Akademie in einem digitalen Hybridformat durchzuführen. Damit soll der internationale Charakter der Frühjahrsakademie ungeschmälert bewahrt werden.

Das Thema

Darstellungen von Nahrungsmitteln und Gerichten sowie Anspielungen darauf finden sich in der gesamten Kunstgeschichte, von den paläolithischen Jagdszenen bis zur Küche in Olafur Eliassons Atelier. Diese können sowohl die Ikonographie betreffen – etwa im Sinne einer Darstellung von Lebensmitteln und Getränken, von ihrer Herstellung bis zu ihrem Verzehr – als auch das weitere poetologische Feld der Kunst (etwa in der Metaphorik, wenn man beispielsweise von kreativer Trunkenheit spricht); sie können eine anthropologische Dimension haben (das Kochen zwischen Kunst und Dienstleistung, zwischen künstlerischen und technischen Handhabungen) oder auf politische bzw. auf Fragen der Identität bezogen sein (die Beiträge der Kunst zu Kulturen des Essens und die Identifikationsprozesse, die durch die jeweils bevorzugte Küche ausgelöst werden). Solche Darstellungen kreisen meist um das übergreifende Thema der Transformation von Lebensmitteln und Getränken; immer wieder geht es dabei um die Kreisläufe der Beschaffung, des Teilens, der Einnahme, der Konservierung und der Zersetzung von Nahrung.

Die Natur wurde in der Geschichte der Kunst häufig als eine riesige Speisekammer dargestellt, sei es in Form von Kulturlandschaften – man denke etwa an den Monat September in den Très Riches Heures des Herzogs von Berry (um 1450, Château de Chantilly) sowie an das Gemälde Le Vignoble vert von Vincent Van Gogh (1888, Otterlo, Kröller-Müller Museum). In solchen Fällen wurden die Reichtümer der Natur motivisch gestaltet (Bartolomeo Bimbi, Birnen, 1699, Poggio a Caiano). Dabei war es insbesondere die Gattung des Stilllebens, die sich dieser Sphäre nahezu ausschließlich widmete, wobei die motivische und stilistische Spannbreite von kargen Vanitas-Stillleben in monochromen Tönen (Pieter Claesz, Stillleben mit Tazza, 1636, Den Haag, Mauritshuis) bis zu solchen mit üppigen Früchten und kostbarem Geschirr, die auf einem Tisch präsentiert werden (Jan Davidsz de Heem, 1640, Louvre), reicht. Die Themen der Versorgung mit Nahrungsmitteln, ihrer Verbreitung und ihres Austausches finden sich in der Geschichte der Malerei ebenso wie in ihren Praktiken; diese wiederum waren meist mit Reflexionen über die conditio humana und die tierische Natur verknüpft, wie etwa in der Darstellung einer Metzgerstheke von Francisco de Goya (1808–1812) oder in den Vorher- und Nachher-Fotografien von Kim Waldron, die die Umwandlung lebender Tiere in verzehrfertiges Fleisch dokumentieren (2010). Das berühmte "Paradox des Allesfressers" (Claude Fischler), welches davon handelt, dass das Essverhalten des Menschen zwischen dem Bedürfnis nach Vielfalt und der Angst vor dem Unbekannten angesiedelt ist, liegt jenen Bildern zugrunde, die gefahrbringende Nahrung und die damit verbundenen Ängste ohne weiteres appetitlichen Lebensmitteln gegenüberstellen, von den Früchten des Baumes des Wissens (etwa eine Feige am Dom von Orvieto, ein Apfel oder Trauben in der Basilika von Vézelay) über einen Hexenkessel, so bei Pieter Bruegel dem Älteren, und bis hin zu dem Apfel, den die Königin Schneewittchen reicht, so bei Walt Disney zu sehen.

Manche Gärten wurden nur für die Versorgung der Küchen angelegt, während in anderen das Nützliche mit dem Angenehmen verbunden wurde. Was auch immer ihr jeweiliger Status war, so waren sie in jedem Fall an der jeweils zeitgenössischen Interpretation der 'Natur' beteiligt, und zwar sowohl in Bezug auf ihre Produkte wie auch hinsichtlich der Visualisierung ihrer generativen Kraft; davon zeugt beispielsweise der geometrisch-strenge Stil des Gemüsegartens, den Jean-Baptiste de La Quintinie für die Belieferung des Tisches Ludwigs XIV. in Versailles entworfen hat. An diesem lässt sich zugleich aufzeigen, dass ein Garten über seine nährende Funktion hinaus sowohl ein Mittel der Ordnungsbildung wie auch eine Interpretation der jeweiligen Umgebung ist – und schließlich auch von der Kunst zeugt, sich in diese jeweils einzupassen.

Praktiken des Kochens können in ihren vielfältigen Bezügen zur Natur als eine paradoxe Form mimetischer Aneignung angesehen werden, deren Beurteilung die gesamte Bandbreite der Sinne zusammenführt. Diese klassische Auffassung des Kochens hat allerdings zu unterschiedlichen Formen der Subversion geführt, beispielsweise, wenn die historischen Avantgarden danach strebten, nicht etwa den Geschmack zu befriedigen und ihm zu schmeicheln, sondern ihn zu destabilisieren und / oder zu erneuern: so haben sich die Futuristen eine vom Nationalismus geprägte Anti-Gastronomie vorgestellt, und Köche haben den Status eines Künstlers erlangt, indem sie mit der gewohnten Ästhetik von Gerichten gebrochen (Ferran Adrià) oder die Grenzen des Verzehrbaren überschritten haben (René Redzepi).
Darüber hinaus hat sich insbesondere um das Thema der Einverleibung ein Imaginationsraum entwickelt, der von kulturellen Metaphern genährt wird: man denke an die Hostie, die die Nahrung für die Seele darstellt, an Courbets Magen als Symbol politischer Prozesse der Gärung oder an die verschlingenden Augen des Landschaftsmalers bei Guy de Maupassant. Prozesse des Ausscheidens wiederum haben seit der Antike im Genre der Rhypographie (also der Darstellung des Schmutzigen) ihren Ort – seither hat dieser Bereich die Fantasie der Künstler stimuliert, von Pieter Bruegel dem Älteren bis Wim Delvoye.
Mit dem Tisch als Ort der Aufnahme des Essens schließlich verbindet sich eine umfangreiche materielle Kultur, die von den dekorativen Künsten (Brunnen, Anrichten, Tischtücher, Tafelgeschirr…) bis zu einer Architektur reicht, die sich dieses Themas angenommen hat, von der Molkerei Marie-Antoinettes im Park des Schlosses Rambouillet (1785) bis zu den integrierten Küchen der Cité radieuse Le Corbusiers in Marseille (1952); seit dieser Zeit haben sich Designer zudem verstärkt mit neuen Formen der Nahrung und den Umständen ihrer Aufnahme beschäftigt, sowie mit Gegenständen, die für deren Verzehr notwendig und als Instrumente im täglichen Gebrauch geläufig sind. Verfremdungen weisen auf Alltägliches zurück (man denke an die Surfaces comestibles von Germain Bourré, also Wandflächen, auf denen etwa Champignons sprießen, 2017).

Da schließlich der Kreislauf der Metamorphose von Lebensmitteln nicht nur durch biologische Notwendigkeiten, sondern auch und ganz besonders durch soziokulturelle Praktiken bestimmt wird, war seine Darstellung stets auch Gegenstand moralischer Bedenken: seit der Frühen Neuzeit wurde in Vanitas-Darstellungen die Eitelkeit ebenso verdammt wie der Exzess und der Prunk an den Tafeln; die Pop Art und der Hyperrealismus haben in der Lebensmittelindustrie eines der herausragenden Embleme einer Vermarktung der Natur gesehen. Die Gegenwartskunst schließlich hat sich immer wieder von naturalisierenden Darstellungen des Nahrungszyklus entfernt, um dessen ideologischem Gehalt zur Sichtbarkeit zu verhelfen; so liegen beispielsweise dem Genre des sogenannten foodporn gleichermaßen politisch wie ästhetisch fundierte Geschlechterstereotype zugrunde. Der Palais de Tokyo, einer der wichtigsten institutionellen Orte für die Ausstellung von Gegenwartskunst in Paris, hat eine der Seiten seines Icono-Dico der Ernährung gewidmet (https://www.are.na/palais-de-tokyo/icono-dico-la-nourriture).

Seit etwa zwanzig Jahren hat das Thema der Ernährung in unserer Disziplin Widerhall gefunden, wobei die Forschung zu diesem Thema von einer Reihe von turns (iconic turn, pragmatic turn, anthropological turn, material turn, …) geprägt wurde. Diese hat sowohl ein Interesse für die Objekte selbst in ihrer visuellen und materiellen Verfasstheit entwickelt, wie sie zugleich Aspekte der Prozessualität und der Identitätsbildung beleuchtet hat. Die Entstehung von interdisziplinären Studien, die Objekte in der Schnittmenge oder an den Rändern der einzelnen Fachdiskurse (gender-studies, Studien zu Ernährungskrankheiten wie Übergewicht, environmental studies, animal studies…) verorten, haben ebenso dazu beigetragen, Nahrung und Ernährung zu Themen der Kunstgeschichte werden zu lassen. Gesellschaftliche Fragen nach der Erhaltung unseres Ökosystems, nach der Überproduktion und dem ungleichen Zugang zu jenen Gütern, die man sich als Gemeingut wünschen würde, sind der Kunst und der Disziplin, die ihrer Erforschung gewidmet ist, keineswegs mehr fremd. Derartige Anliegen waren auch Gegenstand einer Aktion der Green Guerilla, die 1973 von Liz Christi initiiert worden ist. Das Anliegen war die Wiederaneignung des urbanen Raums, wenn etwa Brachen in Blumen- und Gemüsegärten umgewandelt worden sind. Kürzlich erst hat Michelangelo Pistoletto die Ernährung zum Thema seines Projekts Troisième Paradis gemacht, das sich einer Zukunft zuwendet, die mehr Respekt gegenüber der Umwelt aufbringen würde. Wenngleich auch der Akt des Teilens das Ideal von Geselligkeit bei Tisch symbolisiert, so ist die gegenwärtige Praxis doch vorwiegend von Ungleichheiten geprägt. Indirekt wird auf Überfluss und ungerechte Verteilung auch in einer Kultur reagiert, die Abmagerungskuren glorifiziert oder sich durch Gesten der Verweigerung von Nahrung ausdrückt, beispielsweise im Sinne einer Ästhetik des Marginalen (von der Bohème des 19. Jahrhunderts, die "sans feu ni lieu" lebt bis hin zum Motiv der Trunkenheit in Living Sculpture von Gilbert & George, 1969). Der Bereich der Ernährung hat sich so auch für die Gegenwartskunst als zentral erwiesen, sobald sie sich mit politischen Identitäten auseinandersetzt (Nazi Milk in der Colour Bar Lounge von General Idea, 1979).

Schließlich stellen die materiellen Zwänge und Einschränkungen, die mit dem Thema der Nahrung in der Kunst einhergehen, eine Herausforderung für jene Institutionen dar, die mit ihrer Bewahrung und mit der Ausstellung von Kulturgut befasst sind. Diejenigen Museen, die sich mit der Ernährung beschäftigen, etwa das Alimentarium in Vevey, wie auch jene Institutionen, die sich, wie beispielsweise das Mucem in Marseille, mit Gesellschaftsfragen auseinandersetzen und einen Teil ihrer Aktivitäten diesem Thema widmen, haben unterschiedliche Strategien entwickelt, um Sammlungen an der Grenze von Kunst und Technik zu präsentieren. Die Museen der Gegenwartskunst wiederum sehen sich mit instabilen oder vergänglichen Objekten wie etwa den mit Schokolade oder Konfitüre gefertigten Gemälden Andy Warhols (1978) konfrontiert, oder aber mit einem Material wie Baiser in der Serie Gâteaux et paysages von Dorothée Selz und Antoni Miralda (1969–1970). Zudem mussten sie sich Fragen wie derjenigen stellen, ob es opportun sei, die Nahrungsmittel von Joseph Beuys' Wirtschaftswerten (1980, Gent, SMAK) durch Imitate zu ersetzen. Es handelt sich hier also um unterschiedliche, aber vergleichbare Situationen, in denen diese Institutionen gezwungen sind, sich in diesem schwierigen Bereich mit der Frage nach der Bewahrung und der Ausstellung von kulturellem Erbe zu beschäftigen. Exzess als auch Mangel kennzeichnen die Exponate, sobald die Objekte dem beschleunigten Verfall ausgesetzt und sofern der Tisch nicht auf eine leere, leblose Auslagefläche für schöne Objekte reduziert werden soll.
Die Teilnehmer*innen dieser Frühjahrsakademie sind also dazu eingeladen, den dynamischen Beziehungen von Kunst und Lebensmitteln nachzugehen. Dabei sollen eine oder mehrere Spielarten der Transformation – Versorgen, Verwandeln, Darstellen, Sich Einverleiben, Konsumieren, Schmecken, Konservieren – in den Blick genommen werden.

 

Den ausführlichen Call for Papers mit Informationen zum Bewerbungsverfahren finden Sie hier auf deutsch, englisch, französisch und italienisch oder über www.proartibus.org/ecoles-de-printemps.


Ende der Bewerbungsfrist: 26. Februar 2021