Hannah Rathschlag über die Künstlerin und Literatin Mary Eliza Haweis (1848–1898) und (guten) Kunstgeschmack im Viktorianischen Zeitalter in England

Porträtphoto einer Frau. Sie trägt viktorianische Kleidung. Freigestellt vor gelbem Hintergrund.

„Every style has a beauty and interest of its own; […] is worthy attention, and is sure to teach us something”. Diese Aussage formulierte Mary Eliza Haweis in dem Vorwort ihres Buches Beautiful Houses. Being a Description of certain well-known Artistic Houses (1882), wodurch ihre reflektierte und präzise Beobachtungsgabe widergespiegelt wird.

Porträt einer Frau. Viktorianisch gekleidet, hochgesteckte Haare.
Abb. 1: Porträt Mary Eliza Haweis | Emily Hill, Biographical Sketch, in: Women’s Penny Paper, 26. Januar 1899, S. 3

Die Britin Mary Eliza Haweis war zeitlebens in den künstlerischen und literarischen Kreisen der Londoner Gesellschaft aktiv. Als Mary Eliza Joy kam sie 1848 als Tochter des Malers Thomas Musgrave Joy (1812–1866) in London zur Welt. Sie war künstlerisch tätig, stellte bereits mit 18 Jahren in der Royal Academy aus und illustrierte fortwährend ihre Bücher sowie die ihres Mannes (Emily Hill, Biographical Sketch, in: Women’s Penny Paper, 26. Januar 1899, S. 3). Zudem verdiente sie durch schriftstellerische Tätigkeiten eigenes Geld und trug gleichermaßen zum familiären Einkommen bei. Ihr literarisches Œuvre umfasst Bücher über Design- und Modegeschmack, Künstlerhäuser und umfassende Forschungen zu Geoffrey Chaucer, dem Verfasser der Canterbury Tales, welche sie zu Kinderbüchern zusammenstellte.

Im Viktorianischen Zeitalter (1837–1901) erlebte besonders das Kunstgewerbe seine Blütezeit, was sich in der Ausstellung Great Exhibition of the Works of Industry of All Nations im Londoner Crystal Palace im Jahr 1851 widerspiegelte. Es zirkulierte eine Fülle an dekorativer Kunst und die Zahl kunstgewerblicher Hersteller wuchs rasant, so beispielsweise Minton’s und Maw’s für Fliesen oder Arrowsmith’s und Cottier’s für Möbel (Colin Cunningham: Gender and Design in the Victorian Period, in: Gill Perry: Gender and Art, New Haven 1999, S. 175–192, S. 190). Diese Flut an Gebrauchskunst bewog Mary Eliza Haweis, Schriften über (guten) Kunst- und Designgeschmack zu verfassen. Herauszustellen wären hierbei ihre Bücher wie The Art of Beauty (1878), The Art of Dress (1879) oder The Art of Decoration (1881). Ihre Kenntnis über Modegeschmack und Kostümkunde wird dezidiert in ihrem Werk The Art of Dress ersichtlich. In diesem spricht sie sich gegen ungesunde Modetendenzen aus, die eine Einzwängung und Deformierung des Körpers bewirken.

Abb. 2: Mit Skizzen wie diesen veranschaulicht und untermauert Haweis ihre präzisen Beobachtungen. Hier visualisiert sie die negativen Effekte, die durch die Deformierung des Körpers durch zu enge oder unbequeme Kleidungsstücke entstehen | | Mary Eliza Haweis: The Art of Dress, London 1879, S. 36, Detail (https://archive.org/details/krl00000764/page/n39/mode/1up)

Sie befürwortet Qualität statt Quantität der Kleidung sowie Nachhaltigkeit, die (bevorzugt) im Kauf wiederverwendeter statt moderner, neuer Stoffe und in bedachter Auswahl von Kleidungsstücken liegt. Aspekte, die ohne weiteres auf unser heutiges Kauf- und Modebewusstsein übertragen werden können. Mary Eliza Haweis reflektiert in diesem Buch zudem über den schlechten Ruf der Engländerinnen in Geschmacksfragen: „And Englishwomen will never efface their sad reputation for ill-dressing and general want of taste until they do think more for themselves, and individualise their daily garb as a part of their individual character.” (Mary Eliza Haweis: The Art of Dress, London 1879, S. 22)

Seite aus einem Buch. Über dem Text eine dekorative Schmuckborte. Der erste Buchstabe des gedruckten Texts ist mit einem Bild hinterlegt.
Abb. 3: In Beautiful Houses entwarf Haweis für jedes Kapitel eine Initiale. In Kapitel 7 beschreibt sie den Garten des Künstlers John Warrington Wood (1839–1886). Ihre Illustration zeigt eine landschaftliche Gestaltung, in der der Buchstabe „T“ platziert ist, sowie eine weibliche Statue auf einem Podest und nimmt somit Bezug zu der Parkanlage und dem Bildhauer | Mary Eliza Haweis: Beautiful Houses. Being a Description of certain well-known Artistic Houses, London 1882, S. 61; https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=umn.31951001964671b&seq=83

Mary Eliza Haweis bereiste mit ihrem Ehemann viele Länder, in denen sie große Kunstgalerien und Künstlerhäuser besichtigten (Hill 1899, S. 3). Ihre reichen Eindrücke dieser Europa- und Amerikaaufenthalte schilderte Mary Eliza Haweis im Jahr 1882 in ihrem Buch Beautiful Houses. Being a Description of certain well-known Artistic Houses. Für diese Ausgabe verfasste sie Beschreibungen von Künstlerhäusern, die zuvor im Jahr 1880 in der Zeitschrift Queen erschienen waren, aus der sich später Harper’s Bazaar entwickelte. Es werden beispielsweise Häuser von Frederic Leighton, William Burges oder Lawrence Alma-Tadema vorgestellt. Darüber hinaus zeigt sich ihr großes Interesse für das Zusammenspiel von Kunst und Dekor auch in den Beschreibungen der Britischen Botschaft in Rom, des Ashley Parks, der Villa Campana sowie dem Bijou House. Mary Eliza Haweis führt zu Beginn des Buches Beautiful Houses ein lateinisches Zitat von Horaz an. Auf Deutsch lautet dieses: „Was durch die Ohren in die Seele geht, rührt immer schwächer, langsamer, als was die Augen sehen“ (Mary Eliza Haweis: Beautiful Houses. Being a Description of certain well-known Artistic Houses, London 1882, Titelseite). In diesem Sinne lässt die Autorin durch ihre detailreichen und anschaulichen Beobachtungen ein umfangreiches Bild des jeweiligen Künstlerhauses für ihre Leserschaft entstehen. Ihre Beschreibungen laden uns ein, über die Türschwelle zu treten, und begleiten uns von einem Raum zum nächsten. Haweis erwähnt dabei sowohl die Kunstwerke des jeweiligen Künstlers als auch das Interieur und die Atmosphäre, wodurch der Künstler in seinem Haus präsent und gegenwärtig scheint.

Die Britin Mary Eliza nahm in ihren Schriften nicht nur Bezug auf die aktuellen Verhältnisse und besaß ein Feingefühl für den zeitgenössischen Kunstgeschmack, sie war auch als reges Mitglied der gehobenen Londoner Kreise mit der Kunstszene vertraut und prägte durch ihre Schriften das Kunst- und Modeverständnis im Viktorianischen Zeitalter.

HANNAH RATHSCHLAG, M.A. & M.A. verstärkte bis Anfang März das Team der Photothek am ZI.

Die Bibliographie erfasst für den Zeitraum bis um 1930 systematisch Texte von Frauen, die über Kunst und Kunstgeschichte schreiben. Ziel ist es, die Schriften dieser Autorinnen nach und nach digital zugänglich zu machen. Sie sollen so im kunsthistorischen Kanon sichtbarer und leichter verfügbar werden. Zugleich werden deren Breite und Vernetzung, aber auch Hürden und Grenzen erkennbar.