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Rainer Schützeichel // "Ich habe keine fertige Meinung". Der Einfluss von Theodor Fischers Entwurfslehre auf die Architekten der Reform und der Moderne

Die Bedeutung, die Theodor Fischer (1862–1938) für die städtebauliche Entwicklung Münchens hatte, kann kaum überschätzt werden: Als Leiter des 1893 gegründeten Stadterweiterungsbüros nahm er bis zu seinem 1901 erfolgten Ruf an die Technische Hochschule Stuttgart maßgeblichen Einfluss auf die nach den Prinzipien des „künstlerischen Städtebaus“ durchgeführten Planungen. Der 1904 in Kraft getretene Staffelbauplan war das nachhaltige, weit über Fischers eigene planerische Tätigkeit hinausreichende Ergebnis dieser Arbeit. Darüber hinaus prägte er mit einer Reihe von Kirchen, öffentlichen Bauten und Brücken das Bild der Stadt. Einige Jahre nach seinem Weggang kehrte er nach München zurück und unterrichtete in den beiden folgenden Jahrzehnten an der dortigen Technischen Hochschule.

Fischers Wirken umspannt eine entscheidende Phase der modernen Architekturentwicklung und reicht vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er Jahre hinein. Mit seinen Bauten, die zwischen regionalen Einflüssen auf der einen Seite und neuen technischen wie baukonstruktiven Möglichkeiten auf der anderen Seite vermitteln, machte er tiefen Eindruck auf seine Fachkollegen. Seine Wirkung aber greift weit über den engeren süddeutschen Kreis hinaus: Vor allem muss Fischers Lehrtätigkeit als entscheidend dafür angesehen werden, dass der Nachhall seiner Entwurfsprinzipien in den Werken einer ganzen Generation von Architekten zu vernehmen ist, die das vielgestaltige bauliche Schaffen des 20. Jahrhunderts geprägt haben.

Einerseits wirkte Fischers Lehre unmittelbar, nämlich an den beiden Hochschulen in Stuttgart und München, wo er zwar keine „Schule“ im engeren Sinne begründen konnte, aber doch eine große Zahl von „Schülern“ beeinflusste. Mittelbarer war der Einfluss seiner weitgefassten pädagogischen Arbeit: So zählte er zu den Mitbegründern des 1907 ins Leben gerufenen Deutschen Werkbunds, der sich die „Veredelung gewerblicher Arbeit“ in Kunst, Industrie und Handwerk auf die Fahnen geschrieben hatte. Zehn Jahre darauf legte er die Denkschrift „Für die deutsche Baukunst“ vor, in der er Überlegungen zur Reform des Architekturstudiums anstellte. Neben umfangreicheren Schriften wie vor allem den noch während des Ersten Weltkriegs konzipierten und 1920 in Buchform veröffentlichten „Sechs Vorträgen über Stadtbaukunst“ zeigt schließlich die im selben Jahr an der Münchner Hochschule gegründete „Gesellschaft zur Erforschung der Proportionsgesetze“, dass Fischer – obschon er kein eigenständiges Theoriegebäude hinterließ – sich auch theoretisch mit Fragen der „guten“ Gestaltung auseinandersetzte.

Die von Fischer vertretene Entwurfslehre war liberal – sein Ausspruch, er habe „keine fertige Meinung“, kann hier im positiven Sinne als symptomatisch angesehen werden. Der kreative Freiraum, den er seinen Studierenden gewährte, unterschied sie ebenso stark von dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts weiterhin gelehrten, am historistischen Stil-Allerlei orientierten Entwerfen wie auch von zeitgenössischen doktrinären Entwurfskursen wie denjenigen Friedrich Ostendorfs in Karlsruhe. Es war gerade die (keineswegs naive) Unvoreingenommenheit und produktive Neugier, mit der Fischer den einzelnen Entwurfsaufgaben gegenübertrat, die seinen Kursen großen Zulauf bescherten, und die lockere Hand des Lehrers erlaubte es den Studierenden, ihre jeweiligen Interessen und Talente jenseits festgefügter Stil- und Formgewänder zu entwickeln.

Durch Fischers Entwurfslehre wurden so unterschiedliche Architekten wie Adolf Abel, Alfred Fischer, Hugo Häring, Hans Herkommer, Martin Elsaesser, Erich Mendelsohn, Dominikus Böhm, Paul Wolf, Louis Welzenbacher, Wilhelm Riphahn oder Ernst May geprägt. Der einflussreiche Architekturkritiker Peter Meyer ging ebenso durch seine Schule. Der später als Le Corbusier berühmt gewordene Charles-Édouard Jeanneret war 1910 vor allem von dessen Ulmer Garnisonskirche beeindruckt worden und bat darum, in seinem Büro arbeiten zu dürfen; ein Jahr darauf tat es ihm Jacobus Johannes Pieter Oud gleich. In Fischers Büro hatten sowohl der Konservative Paul Bonatz, der in Stuttgart dessen Nachfolge antrat und dort die „Stuttgarter Schule“ mitprägen sollte, als auch der junge Querdenker Bruno Taut gearbeitet, der später nicht nur Fischers Idee einer „Stadtkrone“ wort- und bildgewaltig übernehmen und dadurch berühmt machen sollte, sondern der auch bei seinen Entwürfen immer wieder auf Motive zurückgriff, die er bei seinem Lehrer gesehen hatte – am bekanntesten dürfte die Referenz sein, die er dessen „Altenhof“ in der Siedlung Gmindersdorf mit der Hufeisensiedlung in Berlin-Britz erwies.

So ist Fischer denn als „eine der wichtigsten Vaterfiguren der modernen Architektur in Deutschland“ (Nerdinger) und gar als „Lehrer der Avantgarde“ (Schickel) bezeichnet worden. Im vorliegenden Projekt wird über die Brückenfigur Fischer einer architekturhistorischen „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ (Bloch) nachgegangen. Es spürt den Traditionslinien seiner Entwurfslehre nach und wird anhand von dessen Entwurfsaufgaben und von ihm betreuten Studienarbeiten in Stuttgart und München den unmittelbaren Einfluss auf seine Studierenden beleuchten. In einem weiteren Schritt sollen Werke und theoretische Beiträge ausgewählter Schülerinnen und Schüler analysiert werden, die für den Zeithorizont der Zwischen- und Nachkriegszeit Einblicke geben können sowohl in die Ausstrahlung von Fischers Lehre in die konservativen Strömungen und diejenigen der Reform als auch in die Verankerung seiner Entwurfsprinzipien in den verschiedenen Facetten und Spielarten der Klassischen wie der „anderen“ Moderne.

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