Die Kunstgeschichte und die Herausforderungen der Anthropologie
Die Kunstgeschichte und die Herausforderungen der Anthropologie
5. Internationale Frühjahrsakademie
veranstaltet vom Internationalen Netzwerk für Kunstgeschichte
Eichstätt, Sonntag, 13. bis Samstag, 19. Mai 2007
Das Internationale Netzwerk für Kunstgeschichte widmet seine fünfte Internationale Frühjahrsakademie dem Thema Kunstgeschichte und Anthropologie. Die Frühjahrsakademie wird auf Einladung von Prof. Dr. Michael F. Zimmermann vom 13. bis zum 19. Mai 2007 in Eichstätt (Bayern) ausgerichtet. Sie bietet jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein Forum, um ihre laufenden Forschungen einem internationalen Fachpublikum vorzustellen und sie mit ausgewiesenen Fachleuten zu diskutieren. Der am 9. Februar 2007 abgeschlossene Call for papers richtet sich in erster Linie an Studierende auf den Ausbildungsstufen des Magisters/Masters und der Promotion. Für die Vorträge werden jeweils 20 Minuten veranschlagt. Round-table-Gespräche sowie Exkursionen (u.a. nach München) werden das Programm ergänzen. Reise- und Übernachtungskosten werden in begrenztem Umfang vom Veranstalter übernommen.
Die Begegnung mit anderen Kulturen verändert die humanistische Grundausrichtung der Kunstgeschichte und der Bildwissenschaften ebenso wie den Status der Werke, die diese erforschen. Gauguins Aufbruch nach Tahiti bezeichnet vielleicht den Wendepunkt einer unumkehrbaren Neuausrichtung. Die Konfrontation mit den "Anderen" lädt dazu ein, überkommene Konzepte kultureller Identität und unverbrüchlicher Tradition in Frage zu stellen. Anthropologie und Ethnologie bieten sich mehr und mehr als Vorbilder für Diskurse an, von denen die Geistes- und Kulturwissenschaften vielleicht eher noch fasziniert oder gar besessen als wirklich durchdrungen sind. Für die Kunstgeschichte, ihrem Profil wie ihren institutionellen Zielen (der Bewahrung von Kunstwerken und -denkmälern) nach wesentlich ein konservatives Fach, stellen die anthropologischen Perspektiven seit Aby Warburg eine Herausforderung dar: sie laden zu anderen Annäherungen an Werke und Denkmäler ein als zur aktualisierenden Traditionsaneignung; sie zwingen zu anderen Definitionen der kulturellen Überlieferung als die als nationales Erbes. Methoden, die im Werk allein die auf Kontinuität und auf langfristigen kulturellen Konstanten beruhenden Merkmale in den Vordergrund stellen, sehen sich mit Strategien konfrontiert, deren Augenmerk dem Heterogenen und dem im jeweiligen kulturellen Kontext Anachronistischen gilt, das sich der Einordnung in Epochensysteme oder in Traditionen verweigert.
Themenschwerpunkte
1. Das Vorbild der Anthropologie: Methode, Herausforderung
Stellt die anthropologische Perspektive die traditionellen
Kategorien, durch die die Kunstgeschichte bei ihrer Auseinandersetzung
mit der materiellen Kultur geleitet wird, in Frage (wie die Qualität,
die Einzigartigkeit, die Originalität etc.)?
2. Mythos als Symptom
In welcher Weise sind die abendländischen Mythen der Schöpfung und
des Bildes – etwa die Suche nach dem Gral oder die nach dem unbekannten
Meisterwerk, der Blick des Narziss, die Herausforderung des Prometheus,
die Faszination der Medusa, Schleier und Schein – symptomatisch für die
Macht, die dem Bild in seiner Epoche jeweils zugeschrieben wird?
3. Anthropologie des Körpers und Anthropologie der Sichtbarkeit
Geste, Bewegung, Farbe, Haltung, Maske, Mimik und Physiognomik
beziehen sich auf eine Anthropologie des Körpers und der Sichtbarkeit.
Wie kodieren sie den Gegensatz von unveränderlicher Natur und
kultureller Formung der Leiblichkeit wie auch des Augensinnes?
4. Ikonen, Reliquien, Fetische – religiöse und rituelle Praktiken
Wie wirkt sich die Perspektive der historischen Anthropologie auf das
Studium der Werke aus, wenn sie diese mit Blick auf ihren Ort in Kult
und Ritual studiert, die Verfahren des Sakralen und der Sakralisierung
rekonstruiert, die Praktiken der Herstellung von Ikonen, Reliquien oder
auch von Fetischen untersucht? Welches Licht werfen die ungemalten (acheiropoietischen)
Bilder auf die anderen?
5. Der Gebrauch der Künste: Anthropologien des Alltäglichen – und des Außergewöhnlichen
Diese Sektion konzentriert sich in zweifacher Hinsicht auf die Macht
der Bilder: In welchen Kontexten hat sich die Kunst, oft in den
abbildenden Strategien von Realismus und Naturalismus, für die
Anthropologie des Alltäglichen bis hin zu gewöhnlichen, ja banalen
Lebenspraktiken interessiert? Wie steht der Inszenierung des
"Spektakels" der Normalität die Konstruktion des Außerordentlichen, des
Anomalen, des Gewaltsamen und Ekstatischen gegenüber?
6. Die Frage nach dem Anderen: vom "Primitivismus" zur Gegenwartskunst
Von der Auseinandersetzung zwischen dem Abendland mit Byzanz und dem
Islam bis hin zur Entdeckung der "primitiven" Kulturen läuft der
Austausch stets auf einen "Transfer", auf eine Übersetzung und
Neukodierung, hinaus.
Wie hat sich die abendländische Kultur im Zuge ihrer immer wieder neuen
Projektionen eines "Orients" mit dem Anderen auseinandergesetzt? Unter
dieser Fragestellung sollen Chinoiserie und Japonismus, "Primitivismus"
und "Negerkunst", das Mesoamerika und das Ozeanien der Surrealisten und
die "arts premiers" der "Magier der Erde" betrachtet werden. Wie haben
sich umgekehrt die "Anderen" mit der abendländischen Kultur
auseinandergesetzt, wie tun sie es bis hin zur "global conceptual art"?
7. Anthropologie und Kunstgeschichte: Museen und Ausstellungen
Wie gestaltete sich im Museum und auf Ausstellungen – von den
Wunderkammern bis zu den Welt- und Kolonialausstellungen – die Beziehung
zwischen der Kunst und ihrer Geschichte und von
anthropologisch-ethnologischem Kulturgut? Welchen Status haben zur Zeit
der Museen des Anderswo die volkstümliche und die Alltagskunst in der
musealen Landschaft? Welche Rolle hatten und haben Bilder (von der
Druckgraphik bis zur Photographie, von der Buchillustration zum Film)
bei der Entstehung und in der wissenschaftlichen Praxis der
Anthropologie, auch der Ur- und Frühgeschichte?
8. Gegen-Anthropologien? Phantastische Kunst und Anthropomorphien
Wie werden in der phantastischen Kunst und in Werken, die mit anthropomorphen Wirkungen operieren, die Ideen der Natur und der Kultur gegeneinander ins Feld geführt und neu ausgehandelt? Im Brückenschlag zu der Sektion über die Anthropologien des Körpers werden unter dieser Fragestellung die Inszenierungen der Unterschiedlichkeit betrachtet, also die des Humanen, das sich gegen essentialistische Humanismen wehrt, bis hin zum Posthumanen und zu postmoderner Pluralität.
Um die Thematik und den didaktischen Ansatz der Internationalen Frühjahrsakademie zu vertiefen, wird den Studierenden der Besuch des Colloquiums „Histoire de l’art et Anthropologie“ in Paris ermöglicht werden. Ausgerichtet wird dieses Colloquium durch das CIHA (Comité International d'Histoire de l'Art) gemeinsam mit dem Musée du Quai Branly in Partnerschaft mit dem INHA (Institut National d'Histoire de l'Art). Es findet vom 21. bis zum 23. Juni 2007 in Paris statt.
Weitere Informationen (Programm etc.) finden Sie auf den Seiten des Internationalen Netzwerkes für Kunstgeschichte.