Das Zentralinstitut für Kunstgeschichte trauert um Herrn Prof. Dr. Michael F. Zimmermann
Nach einem Studium der Kunstgeschichte, der Philosophie und der Geschichte an der Universität zu Köln, der Universität La Sapienza in Rom und der Sorbonne (Paris IV) wurde er im Jahr 1985 mit einer in zahlreiche Sprachen übersetzten Studie über Seurat. Sein Werk und die kunsttheoretische Debatte seiner Zeit an der Universität zu Köln promoviert.
Nach Stationen an der Freien Universität Berlin von 1985 bis 1990 sowie am Kunsthistorischen Institut in Florenz von 1990 bis 1991 als wissenschaftlicher Assistent wechselte Zimmermann ans Zentralinstitut für Kunstgeschichte. Der Habilitation an der FU Berlin im Jahr 2000 mit einer Studie über das Verhältnis von illustrierter Presse und Malerei im Italien des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts folgte von 2002 bis 2004 eine ordentliche Professur für Kunstgeschichte der Neuzeit und der Moderne an der Université de Lausanne. Ab 2004 war er Inhaber des Lehrstuhls für Kunstgeschichte an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, wo er unter anderem Sprecher des interuniversitären Masterstudiengangs Aisthesis. Historische Kunst- und Literaturdiskurse im Elitenetzwerk Bayern, Gründungsmitglied des Forschungskollegs Dialogkulturen und Mitglied des DFG-Graduiertenkollegs Practicing Place war. Zahlreiche Gastprofessuren führten ihn unter anderem nach Pisa an die Scuola Normale Superiore, an die Universität Udine, ans Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in Berlin, an die Université de Paris X – Nanterre La Défense, an die École Normale Supérieure in Paris sowie als Robert Sterling Clark Visiting Professor ans Williams College in Williamstown, MA. Im Jahr 2008 wurde er zum ordentlichen Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gewählt, 2012 zum ordentlichen Mitglied der Academia Europaea.
Die Schwerpunkte von Zimmermanns Forschung und Lehre lagen vor allem im Bereich der europäischen Bildkünste in Frankreich, Italien und Deutschland von der Romantik bis zu den historischen Avantgarden. Zuletzt wandte er sich auch verstärkt Forschungsgegenständen aus der Frühen Neuzeit und der Gegenwartskunst in einer globalen Perspektive zu. Zimmermanns Engagement galt stets einer Kunstgeschichte, in der Wissens-, Sozial- und Mediengeschichte mit ästhetischen und bildwissenschaftlichen Fragestellungen in einen fruchtbaren Dialog gebracht werden. In zahlreichen Publikationen etwa zu Pieter Bruegel d. Ä., Caspar David Friedrich, Gustave Courbet, Eduard Manet, Paul Cézanne, Vincent van Gogh, Pablo Picasso, Lovis Corinth oder Allan Sekula verfolgte er an den Bildern und mit Blick auf ihre Rezeption in Kunstkritik und Kunstgeschichte die Durchdringung von künstlerischen Bestrebungen, gattungsgeschichtlichen Prägungen, zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskursen und literarischen wie auch philosophischen Debatten. Auch historiographische, methodische und forschungspolitische Fragestellungen standen immer wieder im Zentrum seiner Projekte und Veröffentlichungen. In seinem Verständnis von Kunstgeschichte richtete er die Aufmerksamkeit nicht allein auf die Artefakte selbst, sondern auch auf die Theorien, Wissensbestände und Debatten – von Baudelaire bis Benjamin, von Foucault bis Agamben –, durch die diese in der Deutung erst erfasst werden können. Sein methodologischer Weg führte von einer sozial- und wissensgeschichtlich orientierten Kunstgeschichte über einen Fokus auf diskursgeschichtliche Problemfelder hin zu praxeologischen Ansätzen, die in den vergangenen Jahren verstärkt ins Zentrum seiner Überlegungen rückten. Zimmermann war einer der ersten in der deutschen Kunstgeschichte, der sich mit besonderer Intensität mit dem französischen Poststrukturalismus auseinandergesetzt und diesen für das Fach fruchtbar gemacht hat.
Zeitlebens setzte sich Zimmermann für einen intensiven, auch interdisziplinären Dialog des Fachs ein, so z. B. als Mitherausgeber der Zeitschrift 21: Inquiries into Art, History and the Visual. Als Hochschullehrer und Mentor wusste er seine Studierenden und Promovierenden mit seinen ebenso präzisen wie anspruchsvollen Bildanalysen zu begeistern. Unermüdlich trat er für eine Kunstgeschichte ein, die sich ihrer eigenen Historizität und Diskursivität im selben Maße bewusst ist, wie sie um ihre eigene gesellschaftliche Verantwortung in einer zunehmend postfaktischen Verfasstheit der Gegenwart weiß. In zahlreichen wissenschaftlichen Vereinigungen, etwa dem Internationalen Netzwerk für Kunstgeschichte, das seit über 20 Jahren eine jährliche Frühjahrsakademie an wechselnden Orten rund um den Globus ausrichtet, setzte er sich mit Verve und Ideenreichtum für einen (nicht nur) europäischen Dialog von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ein. Diejenigen, die ihn näher kannten, wussten um seine Großzügigkeit, seinen humorvollen Esprit und seine menschliche Zugewandtheit. Wir sind tief bestürzt über den viel zu frühen Tod und werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.