Vortrag Michael Diers
Termindetails
Wann
von 18:15 bis 20:00
Art
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Vor aller Augen. Fotografie zwischen Faktizität und Fiktionalität
Wenn heute inszenierte fotografische Aufnahmen gelegentlich als dokumentarisch (fehl-)eingeschätzt und dokumentarische Bilder umgekehrt als inszeniert angesehen werden, dann ist im (Be-)Reich der journalistischen Dokumentar- oder Reportagefotografie die alte Ordnung, die auf Authentizität und Objektivität gesetzt hat, nachhaltig ins Wanken geraten: Die (Gattungs-)Differenz von staged und straight photography scheint aufgehoben zu sein. Bilder, die in mancher Hinsicht zu schön sind, um wahr zu sein, anders gesagt: um als wahr zu gelten, obwohl sie dem traditionellen Grundsatz der fotografischen „Treue“ und Wahrheit verpflichtet sind, bezeichnen einen weiteren ‚wunden’ Punkt dieser Status- und Legitimationskrise des technischen Bildes.
Zunehmend prekärer scheint demnach der epistemisch-ästhetische Charakter des fotografischen Bildes geworden zu sein. Daher lauten einige der vielen Fragen, die sich stellen: Wo verläuft inzwischen die Grenze zwischen Faktum und Fiktum, ist ihre Existenz vielleicht selbst eine Fiktion? Wie sieht unter diesen Vorzeichen die Zukunft des Reportagebildes aus? Wie treten ihm die künstlerischen Bilder entgegen? Wichtig ist dabei weniger die (moralische oder technische) Frage nach Manipulation oder Inszenierung, sondern diejenige nach der Beziehung zwischen Bild und Betrachtung: Was erwarten wir, was sehen wir in den Bildern, was wollen wir sehen, was wollen wir wahrhaben oder für wahr halten, wenn wir Bilder wahrnehmen? Sind es die Betrachter vielleicht sogar selber, die das (fotografische) Bild zur „Wahrhaftigkeit“ nötigen?
Entlang zweier bekannter Fotografien, die das 9/11-Ereignis begleitet und seine Einschätzung geprägt haben, wird der Vortrag einige der genannten Aspekte aus kunst- und bildhistorischer Perspektive diskutieren.
Prof. Dr. Michael Diers
Professor für Kunst- und Bildgeschichte, lehrt an der Hochschule für bildende Künste Hamburg und an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Kunst der Moderne und Gegenwart, die Neuen Medien, die politische Ikonographie und die Wissenschaftsgeschichte.