Konferenz // Wissenschaft und Politik: Die Aufarbeitung des NS-Kunstraubs, der Fall Gurlitt und die Folgen
Termindetails
Wann
18.07.2025 um 14:00
Wo
Der nationalsozialistische Kulturgutraub in Europa war in den ersten Jahrzehnten nach 1945 ein wenig beachtetes Thema, das kaum Resonanz in der Öffentlichkeit und den Praktiken der Rückerstattung respektive „Wiedergutmachung“ von Verlusten in der frühen Bundesrepublik fand. Auch wissenschaftlich blieb das Sujet eine Marginalie im Feld der Aufarbeitungsgeschichte des Nationalsozialismus. Es waren und sind vor allem Skandale um Raubkunst, welche die Diskussion veränderten und zu strukturellen Veränderungen führten. Als Beispiele seien die Beschlagnahme zweier Gemälde von Egon Schiele in New York (1997/1998) und die Restitution des Gemäldes „Berliner Straßenszene“ von Ernst Ludwig Kirchner (2006) genannt.
Eine grundlegende Zäsur bildete der „Schwabinger Kunstfund“, besser bekannt als „Fall Gurlitt“, der im Herbst 2013 publik wurde. Nun wurden die Kunst- und Kulturgutverluste aufgrund nationalsozialistischer Verfolgung und ihre Kompensation zu einem öffentlichen Thema sowie auch die fachlichen, rechtlichen und politischen Hintergründe und Dimensionen einem weiten Publikum bekannt. So erfuhr die Öffentlichkeit, dass mit der Verabschiedung der Washingtoner Grundsätze im Dezember 1998 und ihrer Umsetzung in der Bundesrepublik Deutschland neue Anforderungen an die Auseinandersetzung mit Kulturgutverlusten in Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus entstanden waren. Der gesellschaftspolitische Auftrag wurde 1999 in der „Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz“, der sogenannten Gemeinsamen Erklärung, verankert.
Demnach galt es „auf der Basis der verabschiedeten Grundsätze und nach Maßgabe ihrer rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten nach weiterem NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgut zu suchen und gegebenenfalls die notwendigen Schritte zu unternehmen, eine gerechte und faire Lösung zu finden.“ Auch wenn der Auftrag damit von Beginn mit der Einschränkung „nach Maßgabe ihrer rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten“ die öffentlichen Institutionen entlastete, stellten sich mit dem Auftrag zur Auffindung von NS-Raubkunst neue Anforderungen an Forschung und Rechtspraxis.
Während sich in den letzten 25 Jahren die zeithistorische Aufarbeitung des Nationalsozialismus zusehends ausdifferenzierte, dominierten in der Kunstgeschichte und den Museen lange die Moderneforschung und die Aufarbeitung der Verluste aufgrund nationalsozialistischer Kunstpolitik und Krieg. In der Fortführung einer Moderneforschung, wie sie in der westdeutschen Nachkriegszeit etabliert worden war, blieben die Opfer und die genozidale Dimension des nationalsozialistischen Kulturgutraubs im Schatten.
Zentrales Charakteristikum des Umgangs mit den Folgen des nationalsozialistischen Kunst- und Kulturgutraubs ist ein spezifisches Zusammenspiel von Wissenschaft, Politik, Verwaltung, institutionellen und privaten Interessenvertretungen, Medien und Zivilgesellschaft. Die Gemengelage dieser verwobenen und häufig konfligierenden Institutionen und Interessen war bislang nicht Gegenstand wissenschaftlicher Analyse. Die Vorträge der Tagung behandeln die Beziehungen von Tätern und Opfern, institutionellen und partikularen Interessen, Wissenschaft und Politik in Fragen der Rückgabe von Raubgut.
[Abbildung: Im Rahmen des Projekts "Provenienzrecherche Gurlitt" wurde am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in Zusammenarbeit mit dem Institut für Zeitgeschichte der schriftliche Nachlass von Cornelius Gurlitt aus dessen Salzburger Haus gesichtet und erschlossen, bevor die Unterlagen im April 2017 dem Bundesarchiv übergeben wurden. Der Umfang des Bestandes mit der Signatur N 1826 betrug bei der Übernahme in das Bundesarchiv 216 signierte Archivmappen. Foto: Christian Fuhrmeister]
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Die Tagung wird gefördert vom Leibniz Forschungsverbund „Wert der Vergangenheit“, dem Verein der Freunde des Zentralinstituts für Kunstgeschichte e.V. CONIVNCTA FLORESCIT und der Stiftung Kritische Kunst- und Kulturwissenschaften, Karlsruhe. Sie dient als Grundlage eines Kompendiums „Aufarbeitung der Restitutionsgeschichte“, das im Anschluss publiziert wird.
Konferenzsprachen sind deutsch und englisch.
Organisatoren: Magnus Brechtken (Institut für Zeitgeschichte München-Berlin) und Christian Fuhrmeister (Zentralinstitut für Kunstgeschichte).
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In Kooperation mit:
PROGRAMM:
Mittwoch, 16. Juli 2025
11:30 Uhr | Meet & Greet
12:15–12:45 Uhr | Begrüßung durch Isabel Pfeiffer-Poensgen (Carl Friedrich von Siemens Stiftung) und die Organisatoren
12:45–13:30 Uhr | Einführung: Magnus Brechtken, München // Der NS-Kunstraub und die deutsche Gesellschaft: Zwischen Marginalie und Aufreger der Aufarbeitungsgeschichte?
13:30–15:15 Uhr | PANEL 1: RESTITUTIONSPOLITIKEN I
Moderation: Christian Fuhrmeister, München
- Benno Nietzel, Berlin // NS-Verfolgte und ihr Kampf um die Rückerstattung von Kulturgütern (1930er–1960er Jahre)
- Clara Jungblut, Frankfurt a.d. Oder // Die Beteiligung emigrierter Juristen an der Konzeption des U.S. Militärregierungsgesetzes Nr. 59
- Pia Schölnberger, Wien // Restitutionspolitiken in Österreich
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15:15–15:45 Uhr | Kaffeepause
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15:45 – 17:30 Uhr | PANEL 2: RESTITUTIONSPOLITIKEN II
Moderation: Sebastian Peters, München
- Nikola Doll, Zürich // Positionierungen zum NS-Kunstraub in der Schweiz
- Isgard Kracht, Düsseldorf // „Entartete Kunst“, München 1962: Rekonstruktion und Dekonstruktion einer Ausstellung
- Christian Fuhrmeister, München // Kompensation für erlittene Verluste? Die Verteilung von NS-Raubkunst auf deutsche Museen nach 1966
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17:30–18:00 Uhr | Kaffeepause
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KEYNOTE
18:00–19:30 Uhr | Paul B. Jaskot, Durham, NC // „The Umbilical Cord of Gold“: Art, Politics, and Markets in Nazi Germany and their Postwar Art-Historical Impact
Einführung: Magnus Brechtken, München
Donnerstag, 17. Juli 2025
9:15-11:00 Uhr | PANEL 3: ERMÖGLICHUNGSRÄUME UND NATIONALE LESARTEN DES KUNSTRAUBS NACH 1989/1990
Moderation: Sebastian Peters, München
- Carola Thielecke, Berlin // Parallele Verläufe: Der Stiftungsratsbeschluss der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Washingtoner Grundsätze
- Stefanie Mahrer, Bern // Aufarbeitung und Geschichtspolitik – Die Bergier Kommission in der Schweiz
- Sebastien Chauffour, Paris // The Mattéoli Mission: A French answer to reparation for anti-semitic persecution during the Second World War
- Gesa Vietzen, Frankfurt a.d. Oder // Zwischen Anspruch und Verpflichtung. Die Umsetzung der Gemeinsamen Erklärung
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11:00–11:30 Uhr | Kaffeepause
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11:30–14:00 Uhr | PANEL 4: DER KUNSTFUND GURLITT – FORSCHUNG IM AUFTRAG
Einführung: Nikola Doll, Zürich | Moderation: Magnus Brechtken, München
Round Table mit Statements von:
- Sophie Lillie, Wien
- Jane Milosch, Washington, D.C.
- Meike Hoffmann, Berlin
- Agnes Peresztegi, Budapest
- Shlomit Steinberg, Jerusalem
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14:00–15:30 Uhr | Mittagspause / Lunch Break
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15:30–17:30 Uhr | PANEL 5: NS-RAUBKUNST – JOURNALISTEN ALS ANKLÄGER UND AUFKLÄRER
Moderation: Christian Fuhrmeister, München
Round Table mit Statements von:
- Stefan Koldehoff, Köln
- Nicola Kuhn, Berlin
- Ellinor Landmann, Basel
- Kia Vahland, München
Freitag, 18. Juli 2025
9:00–10:30 Uhr | PANEL 6: DER KUNSTFUND GURLITT – PERSPEKTIVWECHSEL IM UMGANG MIT NS-KULTURGUTVERLUSTEN?
Moderation: Christine Tauber, München
- Meike Hopp, Berlin // Provenienzforschung. Die Diskursivierung eines Begriffs in den letzten 25 Jahren
- Frank Bajohr, München // NS-entzogenes Kulturgut – Ein blinder Fleck der Holocaustforschung?
- Godehard Janzing, Marburg // Der „restitutive Bildakt“. Über politische Ikonologien der (Rück-)Gabe
- Valentin Groebner, Luzern // Was zeigt das Ding im Museum?
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10:30–11:00 Uhr | Kaffeepause
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11:00–13:00 Uhr | PANEL 7: ERFAHRUNGEN UND RECHTSPOLITISCHE FOLGEN
Moderation: Nikola Doll, Zürich
- Winfried Bausback, München // Die langen Schatten der Vergangenheit
- Marcel Brülhart, Bern // Davor hatten viele Angst. Der Fall Gurlitt als Gamechanger
- Benjamin Lahusen, Frankfurt a.d. Oder // Was soll ein Restitutionsgesetz?
- Thole Rotermund, Hamburg // Kunsthandel zwischen Recht und Verantwortung
13:00–14:00 Uhr | Abschlussdiskussion
Moderation: Magnus Brechtken, München, Nikola Doll, Zürich, Christian Fuhrmeister, München
14:00 Uhr | Ende der Tagung