Fokus: Graphzines
Die zum traditionellen Frankreich-Schwerpunkt der ZI-Bibliothek passende Graphzines-Sammlung wurde Anfang 2013 mit dem Ankauf eines Bestandes von etwa 450 Stücken im Zusammenhang mit dem DFG-Projekt ‚Studienzentrum zur Moderne – Bibliothek Herzog Franz von Bayern‘ begründet. Diese Erwerbung wurde ermöglicht durch den Förderverein des ZI CONIVNCTA FLORESCIT und die Ernst von Siemens Kunststiftung. Die seither kontinuierlich ausgebaute Sammlung umfasst inzwischen ca. 4.000 Einheiten und ist damit wahrscheinlich die bedeutendste Kollektion in öffentlichem Besitz. Die Werke sind überwiegend nicht in anderen deutschen Bibliotheken nachgewiesen und in etlichen Fällen weltweit in keiner anderen Bibliothek, so wie die Künstler bislang auch kaum in irgendeinem Museum berücksichtigt werden.
Graphzine ist eine seit den achtziger Jahren in Frankreich gebräuchliche Bezeichnung für eine bestimmte Art von graphischen Künstlerpublikationen. Das Wort konnotiert das aus der Musikszene, aus der Do-it-yourself-Bewegung und aus der Comicszene bekannte Phänomen der Fanzines. Im engeren Sinne sind graphzines graphische Künstlerpublikationen einer mit dem alternativen Comic strip verbundenen figürlichen französischen Graphikszene, die sich seit den späten siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts ausgeprägt hat. Es handelt sich überwiegend um in kleineren, manchmal kleinsten Auflagen, mit ökonomischen technischen Mitteln wie Fotokopie, Serigraphie (Siebdruck), Offsetdruck mehr oder weniger ‚do-it-yourself‘ produzierte Werke. Diese werden von den Künstler-Produzenten selbst, von spezialisierten Buchhandlungen/Galerien (wie die seit 1991 bestehende Buchhandlung Un Regard Moderne in Paris) sowie auf Szeneevents vertrieben. Typisch sind auch teils zeitschriftenartige Kollektivgraphzines, in denen sich die Szene ihrer selbst vergewissert.
Die Graphzines-Szene lebt auch der großen französischen Tradition der satirischen Graphik und wurde vorbereitet durch die linke alternative Presse seit den 60er Jahren. Sie steht aber international nicht allein und ist auch kaum zu verstehen ohne die Einflüsse aus den USA und Japan, von den Chicago Imagists über die japanischen Heta-Uma-Comics bis zu den amerikanischen Avantgarde-Cartoonisten, die sich ihrerseits auf die Welt der Trivialcomics und B- bis Z-Movies beziehen. Es bestehen enge Verbindungen zur Musikszene, etwa zu Punk, Industrial, Rock, Noise und Metal, auch dokumentiert durch Plattencover. Wie Musiker und Graffitikünstler operieren unsere Künstler oft mit Pseudonymen oder gar anonym. Der offensichtliche Gegensatz zur abstrakten Kunst und die zum Beispiel auch aus der Mail Art bekannte Distanz zur „Highbrow“-Kunstszene sind freilich nicht gleichzusetzen mit einer prinzipiellen Rebellenposition. Vielmehr sind die Künstler typischerweise auch als Werbe- und Pressegraphiker, als Buchillustratoren sowie im Bereich Video und Theater tätig, teils basierend auf einer entsprechenden Kunsthochschulausbildung.
Die für die französischen graphzines besonders häufig verwendete Serigraphietechnik verleiht vielen dieser Künstlerpublikationen eine ganz eigene, nur im Kontakt mit dem Objekt erfahrbare Wirkung, zumal in Kombination mit besonderen Formaten und Materialien. Die formale und ikonographische Palette ist breit, und die Übergänge vom graphzine im engen Sinne zur weiteren Szene der graphischen Künstlerpublikationen sind fließend. So sind etliche Stücke unseres Graphzines-Fonds Künstlerbücher, die das Zine-Format weit hinter sich gelassen haben. Für alle beteiligten Künstler jedoch sind die von ihnen selbst oder im Kollektiv gestalteten, erschwinglichen Publikationen in Gestalt von art zines ein privilegiertes Medium der Gestaltung und der Vermittlung ihrer Werke nicht nur im Netzwerk der Künstler und Insider.
Die Graphzines sind im kubikat auch mit den Suchworten ‚graphzine‘ oder ‚graphzines‘ auffindbar. Sie haben spezielle Graphzines-Signaturen und können auf Bestellung analog zu Rara / Rarissima konsultiert werden.
Einige Graphzines wurden komplett digitalisiert und stehen online zur Verfügung.