Katharina Bull // Die Wandbilder der königlichen Wohn- und Repräsentationsräume im Palas von Neuschwanstein (Arbeitstitel Promotionsprojekt)
Projektbeschreibung
1868 fasste Ludwig II. von Bayern den Entschluss zum Bau seines Schlosses Neuschwanstein. „Reminiscenzen“ an die Opern Richard Wagners sollten die architektonische Gestalt des Schlosses prägen. Die Innenräume sollten mit literarischen Themen des Mittelalters geschmückt werden. Mit der Auswahl geeigneter Stoffe wurde der Münchner Kunst- und Literaturhistoriker Hyacinth Holland betraut. Während sich Raumaufteilung und Themenwahl im Laufe der Planungen mehrfach änderten, stand ziemlich bald fest, dass einer der zumindest formal repräsentativen Säle im vierten Obergeschoss des Palas mit Szenen zum Parzival Wolframs von Eschenbach ausgemalt werden sollte.
Richard Wagners Oper Parsifal, deren langer Entstehungsprozess parallel zu den Bauarbeiten an Neuschwanstein verlief, mag dabei eine Rolle gespielt haben – wenn der König auch ausdrücklich verlangte, die Bilder sollten „nach der Sage und nicht nach den Wagnerischen Angaben gemacht werden.“ Auch mögen dynastische Vorstellungen die Wahl des Parzival und der damit verbundenen Gralssage als Höhepunkt des Bildprogramms beeinflusst haben: Einer der königlichen Ahnen, Kaiser Ludwig der Bayer, soll die Klosterkirche Ettal „nach dem Plane des Graltempels zu Mont Salvat“ errichtet haben. Die Herren von Schwangau, in deren Tradition sich bereits Maximilian II. mit dem Ausbau von Hohenschwangau stellte, trugen den Schwan in Wappen und Namen und ermöglichten Ludwig II., über den Schwanritter Lohengrin, Parzivals Sohn, eine Verwandtschaft zur Gralsfamilie zu konstruieren.
Dem Parzival-Zyklus kommt innerhalb des Bildprogramms von Neuschwanstein eine herausragende Stellung zu. Er ist dem neben dem Thronsaal wichtigsten Raum des Schlosses zugeordnet. Dieser, programmatisch Sängersaal genannt, stellt eine der vom Bauherrn geforderten „Reminiscenzen“ an Wagners Opernwelt dar: Architektonische und ornamentale Ausgestaltung des Saals zitieren zwei Räume der Wartburg als Austragungsort des legendären Sängerkriegs, den der Komponist im Tannhäuser verarbeitete. Im Arbeitszimmer Ludwigs II. wird das Thema in den Wandbildern aufgegriffen. Da dem Sängerkriegs-Bild Szenen aus der Volkssage Tannhäuser gegenübergestellt sind, scheinen auch dort wagnersche Ideen durch. Beide ursprünglich voneinander unabhängigen Stoffe führte Wagner in seiner Oper zusammen. Die Gralsthematik des Sängersaals, die die Parzival-Bilder anklingen lassen, wird im königlichen Wohnzimmer mit der Geschichte Lohengrins fortgesetzt.
Das Dissertationsprojekt widmet sich den Wandbildern im Palas des Schlosses Neuschwanstein. Die Verknüpfung unterschiedlicher Quellentypen – Literatur, Volkssage und Opernlibretto – widerspricht der bisherigen Deutung der Zyklen als rein „illustrativ“. Insofern werden die Bilder nicht nur auf ihre schriftlichen Quellen hin zu prüfen, sondern auch ihre ebenso diversen bildlichen Assoziationsfelder herauszuarbeiten sein. Zur Deutung des Bildprogramms wird eine Gesamtschau der königlichen Wohn- und Repräsentationsräume vorgenommen, bei der Fragen nach der thematischen und räumlichen Beziehung der einzelnen Zimmer und ihrer Bilder untereinander nachgegangen wird. Ebenso wird das Verhältnis zwischen den Bildern und dem sich durch die Räume bewegenden Betrachter beleuchtet: Geben die Bilder ihm einen bestimmten Weg vor? Erlaubt ihm die Raumstruktur, unterschiedliche Themen synchron zu betrachten? Dem bisher in der kunsthistorischen Literatur dominierenden Verständnis des Bildprogramms von Neuschwanstein als plakative romantische „Retroschau“ soll ein dynamisches, in vielfältigen Dimensionen angelegtes Verständnis einer zeitgemäßen Mittelalterrezeption entgegengesetzt werden.