Lene Jaspert // „Von den Lastern zu den Tugenden“. Fürstliche Zuchthausbauten des 18. Jahrhunderts in Deutschland als Ausdruck landesherrlicher Ordnungs- und Sozialpolitik (Arbeitstitel)
Im 17. und 18. Jahrhundert entstanden in den deutschen Fürstentümern und Städten zahlreiche Zuchthäuser, in denen Diebe, Bettler, Prostituierte und „Müßiggänger“ zur Arbeit gezwungen wurden. Ziel war es, die Insassen von ihren sozial geächteten Lebenswegen durch harte Arbeit, Zucht, einen geregelten Tagesablauf und religiöse Unterweisung zurück auf den Pfad der Tugend zu führen. Allerdings spielten nicht nur die mildtätige Rettung ihrer Seelen eine entscheidende Rolle, sondern auch Fragen der Stadt- und Landessicherheit sowie wirtschaftliche Erträge durch die Zwangsarbeit. Häufig wurden die Zuchthäuser als „Verwahranstalten“ mit Armen-, Waisen- oder sog. Tollhäusern verknüpft.
Die Zuchthäuser stellten einen neuen Bautypus dar, der auch in zeitgenössischen Architekturtraktaten wie Johann Friedrich Penthers Ausführliche Anleitung zur bürgerlichen Bau-Kunst (Augsburg 1748) besprochen wurde. Mit den Anstalten entwickelte sich eine neue, flächendeckende Typologie, die Bauten erweisen sich jedoch als sehr heterogen. Es entstanden schlichte Zweckbauten ebenso wie mehrflügelige, monumentale Anlagen mit repräsentativen Fassaden, in denen sich Zucht und Fürsorge der Landesväter ausdrückten. Zwischen Funktion und Gestaltung der Gebäude herrschte oft eine bemerkenswerte Diskrepanz, die auch den Zeitgenossen ins Auge fiel:
„Ich begreife schlechterdings nicht, warum man so stattliche Paläste für Waisen, Hospitaliten, Wahnsinnige und Züchtlinge erbaut. Gerade diese Häuser gehörten fast durchgehends zu den schönsten, die ich auf meinen Reisen gesehen habe […] Gesund und bequem soll und mag selbst der Züchtling wohnen; aber muß deßhalb das Aeußere just einem fürstlichen Pallast an Pracht beykommen?“ (E. (anonym): Fragmente einer Reise von Hannover nach Hamburg über Celle, in: Journal von und für Deutschland, 1784 (1), S. 373)
Der Frage, welche Motive Bau und Gestaltung der Zuchthäuser bestimmten, soll mit dieser Arbeit nachgegangen werden. Im Fokus stehen die fürstlichen Zuchthausneubauten des 18. Jahrhunderts, unter Einbezug der vorhergehenden bürgerlichen Gründungen. Anhand unterschiedlicher Beispiele, u. a. Hamburg (1622), Celle (1710), Münster (1732/38) und Ludwigsburg (1736), wird die Bauaufgabe „Zuchthaus“ vergleichend betrachtet. Folgende Motive werden untersucht: die Fassade, der Baukörper und seine innere Aufteilung (Grundriss, Verteilung der Räume, räumliche Trennungen etc.), die einzelnen Räume (Kirche, Schlaf-, Speise- und Arbeitsräume etc.), der Garten sowie die Positionierung in oder bei der Stadt. Gibt es verschiedene Phasen oder gemeinsame Entwicklungslinien? Hat sich ein bestimmter Typus „Zuchthaus“ etabliert, oder haben sich verschiedene Lösungen der Bauaufgabe bewährt?
Bestimmend für die Untersuchung ist zudem die Frage nach den fürstlichen Auftraggebern und ihren Architekten, der Bautradition geschlossener Raumfunktionen (Klöster und Hospitäler) sowie nach der Medialisierung der Zuchthäuser, die schon bald als Sehenswürdigkeiten galten. Als Ergebnis der Untersuchung soll ein Überblick über verschiedene Lösungen, Vorbildbauten und Phasen des Gebäudetyps sowie die Vernetzung der Auftraggeber und ihrer Architekten untereinander entstehen
[Abbildung: Johann Friedrich Penther: Aufris des Zuchthauses zu Zelle, aus ders.: Anleitung zur bürgerlichen Baukunst, Teil 4, Tab. LXXVI, 1748]