Olaf Reumann // Bildwahrheiten. Legitimationsstrategien, humanistische Philosophie und künstlerisches Selbstverständnis in der Galerie François Ier in Fontainebleau.
Projektbeschreibung
Rosso Fiorentinos Ausstattung der Grande Galerie im Schloss von Fontainebleau mit Fresken, Reliefs und plastischem Stuck in den 30er Jahren des 16. Jh. hat die kunstgeschichtliche Forschung zweifach beschäftigt: Einerseits als Beitrag zur politischen Ikonographie Frankreichs, mit Blick auf die kaum zu ordnende Fülle von Darstellungen antiker Sujets und deren oft unklare Bezugnahme auf den königlichen Auftraggeber François Ier - andererseits als zentraler französischer Beitrag zu einem Manierismus, der als europäisches Phänomen interpretiert wird, mit Blick auf das innovative medienübergreifende Dekorationssystem, dessen Rahmenformen, von ihrem ursprünglichen Kontext abgetrennt und rasch mittels Druckgraphik weit verbreitet, modische Dekorationsmotive wurden.
Komplexe Bildsysteme werden besser verstanden, seitdem das Interesse an bildspezifischen Aussageformen und Argumentationsweisen die Analysen prägt und die traditionelle Suche nach den Darstellungsinhalten erweitert. Dass sich daraus wenig neue Fragen für die Galerie François Ier ergeben haben, liegt an deren Einordnung unter einen eng bestimmten Begriff von Manierismus, so dass die zu beobachtende Virtuosität künstlerischer Formfindung nicht als Mittel neuer Aussage- oder Wirkungsabsichten verstanden wurde, sondern als bloßer Überbietungsversuch des in Rom von Raffael und Michelangelo Erreichten.
Forschungen zum römischen Humanismus zeigen das Vorherrschen einer als "Ideologie" verstandenen Vereinnahmung der Antike: Kontinuität wird vorgeführt, um päpstliche Machtansprüche zu untermauern, schreibende wie bildende Künstler greifen auf antike Topoi zurück, um ihr Schaffen auszuzeichnen. Verstehen sich diese Künstler als gottähnliche Schöpfer mit privilegiertem Wahrheitszugang, dann vermögen sie in ihren Werken auch zu zeigen, daß das Handeln der Auftraggeber selbst durch besondere Wahrheitserkenntnis gerechtfertigt ist.
Gleichzeitig bietet philosophiegeschichtliche Forschung zum Renaissancehumanismus aber auch die Einsicht, dass Aussagen über die Gegenwart nicht nur in Konfrontation mit der Antike gewonnen, sondern die dabei gewählten Methoden der Vermittlung von Vergangenheit und Gegenwart gleichzeitig mitreflektiert werden, was nicht selten mit der Selbstbeschränkung des eigenen Wahrheitsanspruches einhergeht.
Einzelne Hinweise der Forschung, dass das Denken französischer Humanisten zur Zeit François Ier solche Elemente enthält, die einer heute vorherrschenden Reduktion auf eine "Ideologie" im Wege stünden, sind daher aufzugreifen, um Ziele und Verfahren einer Antikenrezeption aufzuzeigen, von denen aus ein Bildsystem mit politischem Anspruch erst gedacht werden kann. Wenn die neuere kunsthistorische Forschung daneben gegen das manieristische Paradigma feststellt, dass Rosso in Rom mitwirkt an der Kritik allgegenwärtiger Topoi künstlerischen Selbstverständnisses, ist darüber nachzudenken, ob anschließend in Fontainebleau nicht doch ein von Rom sich deutlich unterscheidendes Projekt verfolgt wird, und ob in diesem Fall nur wieder mit einer anderen, mit Rom oder anderen Machtzentren konkurrierenden Form der Legitimation von Humanisten, Künstler und Herrscher gerechnet werden darf (statt der im Rahmen der Manierismusthese unterstellten bloßen "Überbietung") oder vielleicht doch mit einem anderen, kritischen Selbstverständnis am Hof tätiger Humanisten und Künstler im Umgang mit der Macht.