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Anja Weisenseel // Die institutionalisierte Bildbetrachtung. Nah- und Fernsicht im kunsttheoretischen Diskurs und der Ausstellungspraxis um 1800

Projektbeschreibung

Die heutige Ausstellungspraxis beruht auf Entwicklungen, die im 18. Jahrhundert ihre Wurzeln haben. In Paris etablierten sich bereits vor 1750 die öffentlich zugänglichen, zeitlich begrenzten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, die von der Académie royale veranstaltet wurden und als „Salonausstellungen“ in die Geschichte eingingen. 1793 wurde das erste große Nationalmuseum in Paris eröffnet und das Kulturgut der jungen französischen Nation den neuen Besitzern – dem Volk – zugänglich gemacht. Die Bewegungen, die der Betrachter vor einem Bild vollzieht, und der Standpunkt, den er schließlich einnimmt, sind geprägt von Konventionen und Traditionen, die sich bis in dieses Zeitalter der Musealisierung zurückverfolgen lassen.

Die öffentliche Präsentation von Gemälden in Ausstellungen und Museen stellte einen bedeutenden Eingriff dar. Die Objekte wurden abseits ihres ursprünglichen oder zukünftigen Bestimmungsortes für ein großes und sozial bunt durchmischtes Publikum zugänglich gemacht. Zugleich wurden Werke einem „nahsichtigen“, taktilen, ehemals privaten Umgang entzogen. Die Institution bestimmte fortan die Präsentationsformen und Verhaltensregeln. Interessant ist daher die Frage, wie sich der Blick auf, das Verhalten vor und der Umgang mit den Bildern in diesem Kontext zunächst etablierte und schließlich um 1800 veränderte. Nähe und Distanz zum Bild, Nah- und Fernsicht dienen in diesem Zusammenhang als Kategorien, an denen sich Inszenierungsstrategien und Betrachterinteressen sichtbar machen lassen.

In Kunsttheorie und akademischer Lehre wurde die Nahsicht im Sinne einer Abweichung von einer „Normalsicht“, die es zu definieren gilt, als unangemessen aufgefasst. Sie war folglich negativ konnotiert. Die erhaltenen Traktate liefern zahlreiche Beweise hierfür. Allerdings legen die historischen Quellen - Kunstkritiken und Ausstellungsbesprechungen sowie zunehmend auch Karikaturen - die Vermutung nahe, dass sich der Laie, ebenso wie der Kenner, nicht an diese Vorgaben hielt. Dieser Diskrepanz zwischen akademischer Lehre und Rezeptionspraxis sowie in erster Linie den daran gekoppelten Diskursen gilt das Interesse des Forschungsvorhabens. Eine gründliche Auswertung des Quellenmaterials bildet die Basis dieser diskursanalytisch angelegten Arbeit, die der Normierung der Bildbetrachtung unter institutionellen Wahrnehmungsbedingungen auf den Grund zu gehen versucht. Sie will damit einen Beitrag zu einer Forschung leisten, die sich mit den Voraussetzungen und Bedingungen einer „modernen“ Bildbetrachtung und –präsentation in den Kunstinstitutionen auseinandersetzt.

Kontakt

Prof. Dr. Iris Lauterbach

Team