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Fossile Moderne. Eine Kunstgeschichte des Verbrauchs

Das Projekt untersucht die Rohstoffbedarfe ökologiereflexiver und zugleich medienimmersiver Kunst der Moderne und Gegenwart. Dabei stehen jene Ambivalenzen im Mittelpunkt, die deutlich werden können, wenn der industrielle Eingriff in Naturräume durch die Produktion, Distribution und Materialerhaltung aktueller künstlerischer Werke fokussiert wird, die an sich für mehr Natursensibilität plädieren. Ziel ist es, die Vermittlungsformen ökologischer Diskurse durch die Kunst zu reflektieren und einer kritischen Revision zu unterziehen.

So soll die jüngere Geschichte dieser Kunst nicht als eine Geschichte der Produktion geschrieben werden, sondern als eine des Verbrauchs – etwa der Umwandlung planetarer Ressourcen zu Daten. Dabei steht die Vermutung im Raum, dass eine Theoretisierung der Rohstoffbedarfe ökologiereflexiver Kunst im Angesicht der zunehmend reduktiven Verschaltung von Künstler:in und Sozialfigur, wie jener der Aktivist:in, bisher nicht hinreichend erfolgt ist.

›Extraktivsimus‹, also der rigorose Abbau und Export natürlicher Erdressourcen, ist in der Gegenwartskunst ein besonders prominentes Thema. Dies liegt vor allem an den Verwüstungen des sogenannten ›Anthropozäns‹ – gemeint sind etwa der rasante Anstieg von CO2 in der Atmosphäre, die zunehmende Ozeanversauerung wie auch andere damit zusammenhängende erdsystemische Faktoren. Die kunsthistorische Forschung reflektiert die oft aktivistischen Einwände sogenannter ›ökologiereflexiver‹ Kunst gegen extraktive Formen der Erdausbeutung meist affirmativ als bewusstseinsbildende Maßnahmen für mehr Natursensibilität. Damit wird den mikropolitischen Einwänden von Künstler:innen gefolgt, die schlüssig den sogenannten ›fossilen Kapitalismus‹ kritisieren, worunter eine Wirtschaftsordnung verstanden wird, die auf der wachsenden Konsumtion nichtnachwachsender Rohstoffe beruht. Infolgedessen, dass entsprechende künstlerischer Standpunkte durch die jüngste Kunstgeschichtsschreibung nahezu unwidersprochen bestätigt werden, bleiben jene Ambivalenzen und Brüche unterforscht, die dadurch entstehen können, dass genannte Kunst selbst Anteil an extraktiven Verfahren hat – etwa in Hinblick auf ihre Distribution oder ihre Nutzung von Digitaltechnologie. Dabei wird insbesondere für die digitalen und in der Kunst viel genutzten Technologien energetisches und fossiles Material in großen Mengen benötigt – Naturderivate, die global abgebaut werden, wie zum Beispiel die sogenannten ›Kritischen Rohstoffe‹ und ›Seltenen Erden‹.

Das Forschungsprojekt ››Fossile Moderne‹‹ soll an dieser Leerstelle der Theoretisierung mit einer Kritik ökologiereflexiver Kunst ansetzen, und zwar mit dem Vorschlag einer ››Kunstgeschichte des Verbrauchs‹‹. Gegenstand sollen technologie- und zeitbasierte Kunstwerke sein, die Natur- und Ökologiethemen im digitalen oder institutionellen Raum verhandeln. Denn gerade solche medienimmersive künstlerische Interventionen in das weite Feld von ›Umwelt und Ökologie‹ werden kunsttheoretisch oft als Plädoyers für mehr Sensibilität gegenüber der Natur interpretiert, auch wenn deren materielle Kulturen selbst tief in die Konsumstrukturen globaler Warenketten eingehegt sind. So steht derzeit eine Theoretisierung von Kunstwerken aus, die Material über Produktionsästhetiken hinausdenkt: So soll die These plausibilisiert werden, dass die jüngere Geschichte der Kunst nicht nur als eine Geschichte der Produktion geschrieben werden kann, sondern auch als eine ››Kunstgeschichte des Verbrauchs‹‹. Ein erster Ansatzpunkt hierfür wäre, die Umwandlung planetarer Ressourcen zu Daten als Verlustgeschichte zu denken, beispielsweise bezüglich des gegenwärtig produktionsparadigmatischen Verhältnisses von Kunst und Digitalität.

Zuvorderst soll sich der Recherche entsprechender Ressourcenbedarfe medienimmersiver Kunst gewidmet werden: Was wird genau ge- und verbraucht? Und wie schlägt sich das im singulären Werk nieder? Aktuell besonders prominente Medieninstallationen bieten sich dafür als Untersuchungsgegenstände an – etwa John Gerrards (IRL *1974) Installation Western Flag (Spindletop, Texas) von 2017: ein 500 Kubikmeter großer LED-Kubus, der frontseitig eine digitale Nachbildung des historisch größten Ölfunds der Welt in Spindletop, Texas, zeigt. Die dort 1901 entdeckten Ölvorkommen sind heute erschöpft. Im Zentrum der digitalen Simulation steht ein Mast, dessen digitale Fahne aus sich ständig erneuerndem schwarzen Rauch besteht. In Ausstellungen läuft die animierte Sequenz parallel zum Tagesverlauf in Texas durchgängig und wird live von einer Software ausgeführt, die jedes Bild der Animation in Echtzeit berechnet, sobald es benötigt wird. Mit Werken wie diesem richtet der Künstler den Fokus auf Konsum und Verbrauch in einem ganz bestimmten Bereich: Seinem künstlerischen Schaffen ist – vereinfacht – der Gedanke inhärent, dass Erdölraffinerie ein industrieller Treiber anthropogenen Klimawandels und damit als kapitalistischer Prozess abzulehnen ist. Erste Verwissenschaftlichungen dieser und anderer Werke heben diesen Punkt zwar hervor, aber nicht auf die ökonomischen Dynamiken industrieller Produktion im Verhältnis zu Kunstproduktion im Allgemeinen ab, etwa den Rohstoffbedarf für den Betrieb der ganzjährigen Simulation Western Flag (Spindletop, Texas). Dies ist nur eine in einer ganzen Reihe an Positionen der Gegenwartskunst, die jene auf Extraktivsimen beruhenden Strukturen nutzen, um paradoxerweise gegen Extraktivsimus zu argumentieren. Weitere Beispiele finden sich unter anderem in Werken von Julian Charrière, Cyprien Gaillard, Johannes Paul Raether, Tabita Rezaire, Tómas Saraceno oder Tobias Zielony. Darüber lässt sich zu der These finden, dass eine Theoretisierung der Rohstoffbedarfe ökologiereflexiver Kunst möglicherweise im Angesicht der zunehmend reduktiven Verschaltung von Künstler:in und Sozialfigur, wie jener der Aktivist:in, bisher nicht erfolgt ist.

Eine große, flache Erdfläche. In der Mitte steht eine hohe Metallstange aus der schwarzer Qualm kommt. Foto.

Um gewonnene Erkenntnisse kunsthistorisch zu kontextualisieren, soll ein Ansatz gewählt werden, der ökologiereflexive Kunst unter Gesichtspunkten des Verbrauchs neu einordnet. Dafür wird mit drei vergleichenden Fokusstudien – Theorie, Historisierung, Kritik – gearbeitet. So sollen (1.) Ökologievorstellungen ab der Romantik zu ‚Romantisierungen‘ von Ökologievorstellungen in aktueller kunsthistorischer Theoriebildung kritisch in Beziehung gesetzt werden. Ressourcenbedarfe bilderzeugender Technologien sollen (2.) ab Mitte des 19. Jahrhunderts – analog zu digital – über motivische Selbstkommentierungen hinsichtlich dessen erschlossen werden, wie sie ihre eigenen materiellen Bedarfe visuell geltend machen. Und die tatsächliche Ortsbezogenheit moderner Land-Art ab den 1960er-Jahren soll (3.) als Vergleichsfolie für medienimmersive Naturverhandlungen der Gegenwartskunst in Stellung gebracht werden. Dabei steht die Frage im Raum, ob aus einer gegenwärtigen Perspektive ökologischen Umdenkens in Langzeitprojekten der Land-Art ihre Versäumnisgeschichte in Bezug auf Nachhaltigkeit aussetzt: ein Aussetzen, das gegenteilig zur naturreflexiven medienimmersiven Kunst des 21. Jahrhunderts stehen kann.

Dieses Vorgehen verspricht zahlreiche Argumente freizulegen, die dafürsprechen, dass sich derzeit eine Art ››Fossile Moderne‹‹ ankündigt: als technologisch-soziomaterielle Ausweitung der sogenannten ›Spätmoderne‹. Ziel des Projektes ist es, Gegenwartskunst durch eine kritische und historisch differente Auslegung einer Verwissenschaftlichung zuzuführen, die über eine bloße Affirmation künstlerischer Standpunkte hinausweist und Brüche und Ambivalenzen hinsichtlich ökologischer Fragstellungen in den singulären Werken stärker in den Blick nimmt.

[Caption: John Gerrad, Western Flag (Spindletop, Texas), 2017 Computersimulation als endloser Videoloop/LED-Kubus, ca. 10 x 10 x 5 m © John Gerrad, Abb.: Jesse Hunnifrod/Somerset House.]

Projektlaufzeit

Seit November 2024

 

Team