Ksenija Tschetschik-Hammerl // Künstlers Werk – Das Inventar der Prager Kunstkammer (1607–1611)
Das frühste bekannte Inventar der Kunstkammer Rudolfs II. dokumentiert eine der bedeutendsten Sammlungen im frühneuzeitlichen Europa und entstand in den letzten Lebens- und Regierungsjahren des Habsburger Kaisers in Prag. Nach Rudolfs Tod zu Beginn des Jahres 1612 ordnete sein Bruder und Nachfolger Kaiser Matthias die Umsiedlung der Sammlungsbestände nach Wien an. Die politischen Wirren und Plünderungen der folgenden Jahrzehnte führten zur weiträumigen Verstreuung der Sammlungsobjekte. Auch die Inventarschrift verschwand. Erst am Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Handschrift in den Sammlungen des regierenden Fürsten von Liechtenstein von deren damaligem Direktor wiederentdeckt. Rotraud Bauer und Herbert Haupt veröffentlichten 1976 die erste Edition des Inventars und machten es dadurch zu einer der meist rezipierten Quellen für die Erforschung der europäischen Sammlungskultur der Frühen Neuzeit. Doch abgesehen von der hervorragenden Edition wurde das Inventarmanuskript in seiner Materialität und Medialität bisher kaum untersucht. Dabei enthält die Inventarschrift viel mehr als eine bloße Auflistung der vielfältigen Objekte. Es handelt sich um ein von einer Hand geschriebenes Inventar in Pergamenteinband, in welchem neben der Titelseite, des Inhaltsverzeichnisses und den sporadisch leer belassenen Seiten, auch winzige Federzeichnungen, unterschiedliche Gliederungszeichen, Nummerierungen, alchemistische Symbolzeichen und andere abstrahierte bildliche Elemente vorzufinden sind.
Dass das Inventar der Prager Kunstkammer ein äußerst ungewöhnliches Inventar einer Sammlung darstellt, wurde in der Forschung mehrfach angemerkt: Bereits Bauer und Haupt stellten fest, dass diese Inventarliste nicht bloß, wie zu jener Zeit üblich war, den tatsächlichen Bestand der Sammlung Raum für Raum beschrieb, sondern viel eher eine Art imaginäre Ordnung der Kunstkammer erschuf. Die Relation zwischen der spezifischen schriftlichen und bildlichen Gestaltung des Manuskripts und seiner ungewöhnlichen ordnenden Konzeption blieb allerdings bisher weitestgehend unbeachtet. Folglich wurde auch die Rolle des Verfassers des Prager Inventars und des kaiserlichen Antiquars Daniel Fröschels (1563–1613) beim Inventarisierungsunternehmen noch nie im Detail untersucht. Während Rudolf II. als geistiger Urheber der Gesamtkonzeption des Inventars angesehen wird, wurde Daniel Fröschel nur die Ausführung gemäß den Anordnungen des kaiserlichen Souveräns zugetraut. In meinem Forschungsprojekt wird zum einen versucht, die angestrebte Funktionsweise des Inventars durch die bild- und schriftkritische Analyse der Handschrift zu rekonstruieren. Zum anderen wird versucht herauszustellen, wie gerade die spezifischen Fertigkeiten und der individuelle Erfahrungshorizont des Augsburger Miniaturmalers, Naturillustrators und seit 1607 des kaiserlichen Antiquars Daniel Fröschels das Aussehen und die Konzeption des Inventars prägen konnten.
[Abbildung: Daniel Fröschel, Titelseite aus dem Inventar der Prager Kunstkammer, 1607–1611, Tinte auf Papier, ¬Wien-Vaduz, Liechtenstein, The Princely Collections, HS 130, (Ausschnitt), https://www.liechtensteincollections.at/sammlungen-online/von-anno-1607.-verzaichnus-was-in-der-roem.-kay.-may.-kunstcammer-gefunden-worden#]