Marlen Schneider // Künstlermobilität und Bildtransfer. Französische Maler an deutschen Höfen des 18. Jahrhunderts
Spätestens seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert wurden die französische Kunst und Kultur in ganz Europa als Modell rezipiert, das es mit Blick auf lokale Bedürfnisse aufzugreifen oder von dem es sich abzugrenzen galt. Im Zuge dieser Adaptionsprozesse wurden nicht nur französische Werke in Paris für Sammlungen und Bildprogramme angekauft, sondern die Kunstschaffenden reisten selbst an die verschiedenen Höfe und wurden vor Ort in Bauaufgaben, Ausstattungsprojekte und in die Künstlerausbildung eingebunden. Vor allem deutsche Fürsten hatten Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften und boten französischen Künstlern Aufträge und interessante Posten an: Antoine Pesne wurde 1711 nach Preußen gerufen, Louis de Silvestre verbrachte über dreißig Jahre seiner Laufbahn in Dresden und Joseph Vivien hielt sich im Auftrag der Wittelsbacher mehrfach in Brüssel, in der Pfalz und in München auf. Auch Bildhauer wie Charles François Hutin oder Maler wie Paul Goudreaux und Nicolas Guibal, der neben seinen Historienbildern ephemere Bühnen- und Festdekors für den Stuttgarter Hof entwarf, waren für Fürsten des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation tätig und prägten die Entwicklung der Residenzkultur entscheidend mit. Doch handelt es sich um ein bislang kaum untersuchtes und schon gar nicht kritisch hinterfragtes oder systematisch aufbereitetes Phänomen, dessen Erforschung nicht nur Wesentliches zum Verständnis neuzeitlicher Hofkultur beitragen kann, sondern auch ein differenzierteres Bild der Adaption französischer Kunst und Kultur im inner- und außereuropäischen Kontext ermöglicht. Ziel des Projekts ist es, mithilfe einer anthropologischen und bildkritischen Herangehensweise eine interkulturelle Sicht auf die Kunst des 18. Jahrhunderts stark zu machen und vor dem Hintergrund der fortwährenden Mobilität von Künstlern und Bildern den dynamischen grenzüberschreitenden Charakter frühneuzeitlicher Kunstproduktion als Ausgangspunkt für die Interpretation der Werke zu nehmen.
Es gilt, in einem ersten Schritt Netzwerke, Kommunikationswege und Itinerarien der Künstler nachzuzeichnen sowie die Arbeitssituation und Aufgaben vor Ort zu rekonstruieren, um darauf aufbauend neue Sichtweisen auf die in diesem Kontext entstandenen künstlerischen Objekte zu eröffnen. Diese geben Aufschluss über die unterschiedlichen Akteure, die Itinerarien von Künstlern sowie Prozesse der Aneignung und Abgrenzung und legen nuancierte Zeugnisse über die Konstruktion von Selbst- und Fremdbildern ab. Auch die normative Wirkung des aus Frankreich mitgebrachten Bildrepertoires muss untersucht werden, sei es im Kontext der Künstlerausbildung, für die beispielsweise Zeichnungen und Grafiken eine zentrale Rolle spielten, bei der Gestaltung von Porträts oder bei der Konzeption ganzer Dekorationsprogramme, Gartenanlagen und Lustschlösser. Neben einem differenzierten Blick auf den Status mobiler Künstler als Akteure von Wissenstransfer und Akkulturationsprozessen soll ein präziseres Verständnis der Adaption frühneuzeitlicher französischer Kunst im europäischen Kontext ermöglicht werden: So handelte es sich weniger um eine im modernen Sinn nationalstaatlich geprägte Kategorie, als vielmehr um eine soziokulturelle, die vom höfischen Milieu über Landesgrenzen hinaus rezipiert wurde.