Sarah Sigmund // Hybridwesen. Transformationen des Humanen in der Kunst seit den 1970er Jahren
Spätestens seit den 1910er Jahren gehören Hybridisierungen auf materieller Ebene zu den etablierten Verfahren der Kunst. Repräsentativ stehen hierfür etwa die Fotomontagen der Dadaisten. Dabei werden mit dem Skalpell zerlegte Abbilder menschlicher Körper, zu neuen Hybriden collagiert. Doch zeigt sich, so die These des Dissertationsvorhabens, seit den 1970er Jahren eine wesentliche Zäsur, denn ab diesem Zeitpunkt setzen Künstler*innen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher, wissenschaftlicher und technischer Entwicklungen Verfahren des Hybridisierens mit menschlichen Körpern und dessen somatischen Materialien ein. Diese künstlerischen Arbeiten zwischen Performance und Bio Art verhandeln Aspekte des Human Enhancement, der Gentechnologie, Mikrobiologie, Eugenik oder Epigenetik.
In drei Teilen geht das Dissertationsvorhaben der Frage nach, wie künstlerische Strategien ein eigenes Wissen über mögliche Transformationen des Humanen durch medizinhistorische und molekularbiologische Neuerungen produzieren. Welche Materialien finden dabei Verwendung? Welche Produktionsverfahren kommen zum Einsatz? Auf welche Körper-Bilder wird referiert, wie werden diese in Kunstwerke miteinbezogen und kritisch befragt? Welche kulturhistorischen und wissenschafts-geschichtlichen Ereignisse spielen für diese Auseinandersetzungen eine Rolle? Und wie verändern sich Relationen von menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren?
Der erste Teil fokussiert zwei historische Positionen im Spannungsfeld der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts. Mit Hannah Höchs Collagen wird untersucht, wie sich Kolonialismus und Eugenik auf die Konstitution und Vorstellung von Körpern ausgewirkt haben. Mit Tetsumi Kudо̄ wird ein Beispiel angeführt, anhand dessen die Frage verhandelt wird, wie sich durch den Schock der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki der Blick auf Körper verändert hat. Durch konkrete Analysen einzelner Werke soll geklärt werden, wie in der Kunst von Höch und Kudо̄ Hybridität durch nicht-menschliche Materialitäten erzeugt wird und welches Verhältnis diese Arbeiten als Surrogate zu jenen aus somatischem Material einnehmen. Der zweite Teil widmet sich zwei performativen Arbeiten aus den 1990er Jahren, die den menschlichen Körper dauerhaft durch medizinische Behandlungen transformieren. Unter dem Begriff der Amalgamierung wird mit der Künstlerin ORLAN und dem Duo Art Orienté Objet untersucht, welche Hybridisierungen und Eingriffe in den menschlichen Organismus der somatische Körper in Performance und Body Art durch plastische Chirurgie und Bluttransfusionen erfährt.
Der letzte Teil der Dissertation beschäftigt sich mit Hybridisierungen zwischen technischen Laboreinrichtungen und liquidierten Substanzen, wie Zellen und DNA die das Humane jenseits des menschlichen Körpers sichtbar machen. Hierbei werden Diskurse um Kunst und Wissenschaft, artistic research sowie Bio Art eingebunden und diskutiert, inwiefern humane Materialien ein posthumanes Bild des Menschseins im 21. Jahrhundert entwerfen.
[Abbildung: Christine Borland: HeLa Hot, 1999. HeLa-Zellen, Nährboden, Videomikroskop, Monitor. © Christine Borland.]