Marcus Pilz // Mittelalterlicher Bergkristallschnitt zwischen der islamischen Welt und Europa
Ausgehend von meinem Dissertationsprojekt, möchte ich während meines Forschungsaufenthaltes am Zentralinstitut mehrere Themenbereiche weiterverfolgen, die sich dem Transfer technischen Wissens zum mittelalterlichen Steinschnitt und entsprechenden Objekten befassen.
Der Bergkristallschnitt in den Reichen der abbasidischen und fatimidischen Kalifen brachte herausragende Meisterwerke wie die Bergkristallkrüge im Schatz von San Marco hervor. Ausgehend von byzantinischen und sasanidischen Tradition, erreichten die Werkstätten im Umfeld des abbasidischen Hofes Mitte des 9. Jahrhunderts eine bis dahin nicht gekannte Meisterschaft, die den seit der Antike gepflegten Schliff extrem dünnwandiger Bergkristallgefäße mit einem flächigen Reliefschnitt verband und so eine eigenständige, charakteristische Ästhetik hervorbrachte. Im späten 10. Jahrhundert knüpften die fatimidischen Kalifen an diese Produktion an. Die Kairoer Werkstatt entwickelte die abbasidischen Vorlagen weiter und konnte sich mit deren herausragendsten Beispielen messen. In einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise kam es in den 1060er Jahren zu Plünderungen der Schatzkammern des Kalifenpalastes. Ein von al-Maqrizi überlieferter Bericht dieser Plünderungen nennt unter den zahlreichen Schätzen auch tausende von Bergkristallgefäßen. Diese Objekte gelangten nun in großen Mengen auf die Märkte der Levante. Dürften die Hofwerkstätten bereits durch die allgemeine Krise stark in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt gewesen sein, so brachte das plötzliche Überangebot kostbarster Gefäße die Produktion wohl endgültig zum Erliegen.
Im 13. Jahrhundert sind dann in Europa recht unvermittelt voll entwickelte Werkstätten zur Bergkristallverarbeitung archivalisch nachweisbar. Die Forschungen werden sich intensiv mit dem von Hans Hahnloser publizierten Material dieses frühen europäischen Bergkristallschliffs und dessen möglichen Verbindungen zur Bergkristallverarbeitung der islamischen Welt beschäftigen. Im Zentrum steht dabei eine Gruppe vermeintlich islamischer Stücke, die heute über zahlreiche europäische Sammlungen verstreut sind.
[Abbildung: Abbasidisches Bergkristallgefäß des 9. Jh in mittelalterlicher Fassung, wohl Sizilien 11. Jh. Capua, Domschatz]